: Schwabenstern auf fremder Kühlerhaube: Daimler-Benz will den US-Automobilkonzern Chrysler übernehmen. Falls die Fusion des größten deutschen Industrieunternehmens mit dem drittgrößten Autobauer der USA zustande kommt, wäre dies der größte Z
Schwabenstern auf fremder Kühlerhaube: Daimler-Benz will den US-Automobilkonzern Chrysler übernehmen. Falls die Fusion des größten deutschen Industrieunternehmens mit dem drittgrößten Autobauer der USA zustande kommt, wäre dies der größte Zusammenschluß aller Zeiten.
Nur zu zweit an die Spitze der Branche
Daß etwas Besonderes im Busch war, vermuteten die Betriebsräte von Daimler schon eine Woche. Denn ihre Vertreter im Aufsichtsrat waren für gestern abend zu einer außerordentlichen Aufsichtsratssitzung ohne Tagesordnung eingeladen – eine Vorgehensweise, die Vorstände üblicherweise wählen, wenn sie etwas bis dahin geheimhalten wollen. Doch schon gestern morgen erfuhren sie aus dem Wall Street Journal, was die Neuigkeit war, die ihr Chef Jürgen Schrempp diesmal für sie bereithielt: Der US-Autoriese Chrysler soll gekauft werden.
„Die Nachricht von der beabsichtigten Fusion hat uns überrascht“, sagte gestern Alfons Görgemanns, der stellvertretende Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats von Daimler. „Aber um zu bewerten, wer hier wen übernimmt, müssen wir erst mal genauer die Fakten prüfen. Da fallen mir aus dem Stand 100 Fragen ein“, meinte Görgemanns.
Laut dem Wall Street Journal will sich Daimler die Beteiligung am neuen Partner 35 Milliarden Dollar kosten lassen. Das bedeutet einen satten Gewinn für die Chrysler-Aktionäre: Bis gestern lag der Aktienwert des Konzerns aus Auburn Hills in Michigan bei 27 Milliarden Dollar. Doch Daimler wird nicht etwa soviel Bargeld und Kredite lockermachen, sondern mit eigenen Aktien bezahlen. Im Endeffekt handelt es sich also um einen Aktientausch. Ob es nun ein gemeinsames neues Unternehmen oder aber weiterhin zwei unabhängige Töchter geben wird, ist aber laut dem Wall Street Journal noch nicht ausgehandelt.
Überhaupt ist die Fusion noch nicht sicher. Immerhin handelt es sich jeweils um Traditionsfirmen, die ein gewisses Image zu verlieren haben. Chrysler war zwar Anfang der 80er Jahre fast schon pleite, stieg jedoch wie Phönix aus der Asche und lieferte in den letzten Jahren Nettogewinne zwischen zwei und vier Milliarden Dollar ab. Solche Erfolgsgeschichten mögen die Amis. Da könnte der Kauf durch einen deutschen Konzern bei einer ungeschickten Pressearbeit auch einen Dämpfer im Image bringen.
Neben der großen Politik liegt der Teufel im Detail, und Details gibt es mehr zu klären als bei irgendeiner anderen Fusion vorher – von den verschiedenen Produktions- und Entwicklungsabläufen, Bilanzsystemen bis zu Zulieferern und der Unternehmenskultur. Branchenexperten verwiesen darauf, daß noch nie zwei Industriekonzerne dieser Größenordnung aus zwei so verschiedenen Ländern fusioniert hätten.
Trotz all der Sachprobleme würde aber ein gemeinsamer Konzern Daimler/Chrysler mit einem Schlag ein paar Wünsche der beiden Einzelfirmen erfüllen. Daimler verkauft derzeit relativ wenige Edelkarossen in den USA und hätte nun plötzlich ein alles abdeckendes Händlernetz mit hohen Verkäufen. Genauso Chrysler in Europa: Hier sind Ford und General Motors mit ihren großen europäischen Töchtern weit voraus, Chrysler bekam keinen Fuß auf den Boden. Nun könnten die Amis auf die Verkaufsmacht von Mercedes bauen.
Vom Sortiment her ergänzen sich die beiden Autobauer besser als jedes andere Paar: Chrysler macht nur ein Drittel seines Umsatzes mit Pkw, und da im Gegensatz zu Mercedes meist in der mittleren und unteren Preisklasse. Die Markennamen sind auch Dodge oder Plymouth. Das Hauptgeschäft bringen Pickups, kleine Lkw, Minivans und die Geländewagen der berühmten Marken Jeep und Eagle. Damit füllen sie die Lücke, die bei Mercedes zwischen den neuen M-Klasse-Geländewagen und den großen Lkw bleibt.
Eine Not zum Zusammenschluß gibt es jedoch nicht. Die US-Autobauer boomen ebenso wie die deutschen. Doch die nächste Krise kommt bestimmt. Da gilt es vorher, die bestehenden Fabriken besser auszulasten, bevor nun im Boom teure Überkapazitäten geschaffen werden. Das aber können zwei Partner besser als einer allein. Und nur zusammen stoßen Daimler und Chrysler in die Gipfelregionen der Branche vor: Der Weltmarktführer General Motors samt Opel beschäftigt 610.000 Menschen und verkauft bei einem Umsatz von 177 Milliarden Dollar 8,8 Millionen Fahrzeuge im Jahr. Ford folgt mit 154 Milliarden und 6,9 Millionen Autos und Lastwagen. Dann käme das neue Doppel mit einem Umsatz von 130 Milliarden Dollar und gut vier Millionen Fahrzeugen – bei Verkäufen und Gewinn lägen sie damit vor Toyota, Volkswagen und Nissan.
Ob die Konzerne ihre Aktien tauschen, hängt aber auch von den beiden Chefs ab. Schrempp und Chrysler-Boß Eaton sollen den Laden zusammen führen, heißt es derzeit. Nach der Art zu urteilen, wie Schrempp seinen etwaigen Konkurrenten Helmut Werner aus dem Mercedes-Chefsessel gekippt hat, wird er wohl auf Dauer nur alleine regieren wollen. Doch mit den Chefs aus den USA kann er nicht wie mit seinen Untergebenen umspringen. Da wird er am Ende noch das Kompromisseschließen lernen müssen. Auch keine leichte Aufgabe. Reiner Metzger
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