: Die Zeit der Vorurteile ist vorbei
In den Niederlanden findet nach langem Sträuben der männlichen Verbandsfunktionäre die erste Weltmeisterschaft im Frauen-Rugby statt. Das deutsche Team verliert drastisch und ist dennoch begeistert ■ Aus Amsterdam Falk Madeja
„Wir sind hier, um zu lernen“, stellt Gisela Hansen klar, „bislang haben wir ja aus Geldmangel und anderen Gründen kaum Länderspiele gehabt.“ Die 44jährige ist Teammanagerin der deutschen Rugby-Auswahl, die in Amsterdam an der ersten offiziellen Weltmeisterschaft der Frauen teilnimmt. Gelegenheit zu lernen gab es bislang zweimal, zum Auftakt beim 6:134 gegen die Topfavoritinnen aus Neuseeland und dann im Spiel gegen Italien, wo es ein respektables 5:34 gab. Die nächste Lektion folgt morgen. Gegner ist Wales, das zuletzt die Russinnen mit 83:7 bezwang.
Gisela Hansen nennt die Bundesrepublik ein Rugby-Entwicklungsland. „Das gilt für Frauen und Männer. Noch nie hat eine deutsche Mannschaft gegen die Rugby- Großmacht Neuseeland gespielt“, erklärte die Hannoveranerin während des Spiels gegen die Frauen vom anderen Ende der Welt. Die wahrscheinlich höchste Niederlage, die je eine deutsche Nationalauswahl in welcher Sportart auch immer erlitten haben dürfte, machte niemandem etwas aus. „Rugby vom Feinsten“, freute sich Frau Hansen und notierte Punkt für Punkt der Gegnerinnen, während die Fans auf der vollbesetzten Tribüne jeden Ausflug der Underdogs über die Mittellinie bejubelten.
Im Nationalen Rugby-Zentrum am Rande Amsterdams findet vom 1. bis zum 16. Mai etwas statt, was die Internationale Rugby-Föderation (IRB) aus Angst vor Hohn und Spott vor vier Jahren noch mit Ausschlußdrohungen an die interessierten Verbände verhindern wollte. Die männlichen Funktionäre stemmten sich lange erfolgreich gegen die Rugby- Gleichberechtigung – aber der in Schottland unabhängige Frauen- Rugby-Bund übernahm die Sache vor vier Jahren von den damals kneifenden Niederlanden und richtete eine inoffizielle Weltmeisterschaft aus. Die kam gut an, darum nun die offizielle WM in den Niederlanden, welche die Ausrichtung dieses „letzten Tabus“ (De Volkskrant) übernommen haben.
Die WM, an der 16 Teams teilnehmen, ist kein Kuriositätenkabinett. Die Veranstalter haben die Sache professionell angepackt – vom hübschen Stadion mit der überdachten Tribüne über gute Arbeitsbedingungen für (die aus den angelsächischen Ländern zahlreich angereisten) Journalisten bis hin zur Internet-Seite fehlt es an nichts. In Holland berichten alle Zeitungen in großer Aufmachung, auch das Fernsehen ist da. „Es mangelt uns nur an Geld“, erklärt Hansen, „wir haben aus Deutschland so gut wie keine Unterstützung. Die Frauen mußten teilweise unbezahlten Urlaub nehmen und bis zu 400 Mark selbst berappen.“ Der internationale Verband zahlte aber immerhin zu 85 Prozent die Reisekosten und das Hotel.
„In Deutschland spielen seit zehn Jahren um die 200 Frauen und 200 Mädchen Rugby, der SC Neuenheim, DRC Hannover und FC St. Pauli haben die besten Mannschaften“, schildert Gisela Hansen die Situation. Die Teams in der zweigeteilten Bundesliga (Nord/Süd) treten mit ein paar Spielerinnen weniger an, und die Spielzeit ist kürzer als die international üblichen zweimal 40 Minuten. In Ländern wie England (mehr als 8.500 Spielerinnen), Kanada (8.000), USA (13.000), Australien (3.500), Neuseeland (3.000) und Schottland (1.000) ist der Sport längst aus den Kinderschuhen. „Wir haben keine Zeit mehr für Vorurteile“, stellt der niederländische Trainer Michael Patrick kategorisch fest – sein Team bereitete sich gar mit einem Psychologen vor.
Andrea Kunkel (29) ist wie ihre Sportkameradinnen von der Dynamik des Spiels fasziniert. „Ein toller Teamsport. Im Prinzip kann jede mitspielen – egal, wie groß, wie schnell, wie kräftig“, erklärt die Hotelmanagerin aus Heidelberg, die vor ein paar Jahren über eine Freundin zum SC Neuenheim kam. Nach dem „historischen Match“ (Hansen) gegen Neuseeland kam Andrea Kunkel vor Freude weinend, schweißüberströmt und die Arme hochwerfend zur rituellen Verabschiedung. Erst bilden die Verliererinnen am Spielfeldrand eine Gasse, durch welche die Siegerinnen klatschend gehen, dann drehen die Teams die Rollen um. Von Spott oder Häme der neuseeländischen Lehrmeisterinnen für die haushoch unterlegenen deutschen Frauen keine Spur.
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