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Schwarze Schafe auf einem Eisberg

Um Pfusch und Betrug in der Forschung zu verhindern, wollen die Wissenschaftsorganisationen die Selbstkontrolle verbessern  ■ Von Wiebke Rögener

Die Wahrheit und nichts als diese will die Wissenschaft ergründen – zumindest aber diesen Eindruck in der Öffentlichkeit vermitteln. Die vor einem Jahr am Max-Dellbrück-Centrum (MDC) in Berlin aufgeflogenen Fälschungen der Krebsforscher Friedhelm Herrmann und Marion Brach erschütterten dieses Bild: Da wurden Experimente durch Computergraphik ersetzt und Ideen anderer Wissenschaftler schlicht geklaut. Dutzende von Arbeiten in hochangesehenen Zeitschriften erwiesen sich als gefälscht. Umgehend versicherten Funktionäre der wissenschaftlichen Institutionen, der Fall sei völlig einzigartig. Auf einen solchen Betrug sei man einfach nicht gefaßt gewesen, sagt Detlev Ganten, Leiter des MDC und Vorsitzender der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.

Gerade mal vier Fälle seien ihm in seiner sechsjährigen Amtszeit bekannt geworden, ließ der damalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Wolfgang Frühwald, wissen. Natürlich handele es sich „um Ausnahmefälle, schwarze Schafe“, sekundierte Ingolf Hertel, Präsident der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz (WGL). Keinesfalls, so der Tenor aller Erklärungen, sei hier die Spitze eines Eisberges sichtbar geworden. Vor dem mit krimineller Energie betriebenen Betrug einzelner sei auch die Wissenschaft nicht gefeit. Es werde aber alles nur Mögliche getan, um dergleichen künftig zu verhindern.

Das Mögliche war die Gründung diverser Ausschüsse: Die DFG verabschiedete Ende vergangenen Jahres die Empfehlungen der Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“, die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) legte ein „Verfahren bei Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten“ fest. Einen „Verhaltenskodex für Mitglieder“ beschloß kürzlich die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG). Als erste Hochschule hat jetzt die Universität Freiburg Arbeitsergebnisse einer Kommission „Verantwortung in der Forschung“ vorgelegt.

Diese Papiere machen zweierlei deutlich. Zum einen ist – allem Reden über einzelne „schwarze Schafe“ zum Trotz – den Kommissionsmitgliedern durchaus bewußt: Ursachen für Lug und Betrug sind nicht nur in individuellen Charakterfehlern zu suchen, sondern auch im Mechanismus des Wissenschaftsbetriebes. Ein Spiel, dessen erste Regel lautet: „Veröffentliche so viele Arbeiten wie irgend möglich, wenn du Ansehen, Forschungsmittel und Stellen gewinnen willst!“, verleitet zum Schummeln. Zumal jedem klar ist: Niemand wird die Papierberge ernsthaft lesen, geschweige denn überprüfen können.

Wortreich stellen die nun erlassenen Richtlinien klar, was jeder Außenstehende für selbstverständlich hielt: Wer als Autor eines Artikels erscheinen will, muß daran mitarbeiten und ist für den Inhalt verantwortlich. Die Qualität wissenschaftlicher Arbeit, so die DFG, solle künftig wichtiger sein als die bloße Quantität. Wie das Kommissionsmitglied Ulrike Beisiegel formulierte: „Es darf nicht mehr als fein gelten, wenn ein Wissenschaftler in wenigen Jahren Hunderte von Publikationen vorweist.“ Die Freiburger Kommission ist vorsichtiger. „Es sollte immer angestrebt werden, eine Publikation nach ihrem Inhalt zu bewerten“, heißt es dort. Künftig soll der Bewerber nicht mehr mit ellenlangen Publikationslisten Eindruck schinden können, sondern nur noch zehn ausgewählte Artikel vorlegen. Die Freiburger möchten auch die Größe von Arbeitsgruppen begrenzen. Höchstens acht Mitarbeiter seien angemessen für einen Arbeitsgruppenleiter. So läppisch diese Reförmchen auch erscheinen – sie würden manchem altbekanntem Mißstand abhelfen. Freilich fehlt es meist an Vorschlägen, wie sie durchzusetzen sind. Sanktionen gar werden entweder gar nicht genannt, oder es wird, wie in den MPG-Richtlinien, nur auf geltende Gesetze verwiesen.

Viel mehr als ein neuer Anstrich der Fassade ist am Gebäude des Wissenschaftsbetriebes nicht vorgesehen. Zu ernsthaften Umbauten soll es nicht kommen. Anstrengungen, Fälschern frühzeitig auf die Spur zu kommen, sind nicht zu erkennen. Die Forschungsorganisationen trösten sich mit der in Deutschland – etwa im Vergleich zu den USA – geringen Zahl bekannt gewordener Betrugsfälle. Doch muß dies nicht an der größeren Ehrlichkeit deutscher Forscher liegen. Bisher gibt es hierzulande für Wissenschaftler, die nicht gerade eine Professur innehaben, kaum einen Weg, einen Verdacht gegen Kollegen oder Vorgesetzte ohne Risiken für Arbeitsplatz und Karriere zu äußern.

Und dabei soll es bleiben. Realistische Vorschläge, um die Aufklärungsrate bei Pfusch und Fälschungen zu erhöhen, enthalten die Papiere jedenfalls nicht. Die DFG-Kommission empfiehlt, Ombudsleute zu benennen. Sie können bei Verdacht auf Betrug zwar keine Ermittlungen durchführen, sollen jedoch „durch ihre persönliche Autorität, Integrität und Neutralität den Wissenschaftlern ein kompetenter und vertrauenswürdiger Ansprechpartner sein“. Demokratischere Strukturen im Wissenschaftsbetrieb, Verringerung der persönlichen Abhängigkeiten – kein Thema für die DFG. Eine Konfliktberatung nach Gutsherrenart aber wird wohl auch künftig keinen jungen Wissenschaftler ermuntern, den Abschluß seiner Doktorarbeit oder die Verlängerung seiner Zeitstelle zu gefährden, indem er auf fragwürdige Praktiken in seiner Arbeitsgruppe hinweist.

Der Vorsitzende der Freiburger Kommission, Michael Frotscher, verwies auf einer Wissenschaftspressekonferenz in Bonn darauf: Solange noch geprüft wird, ob es überhaupt zu einer Untersuchung kommt, könne der Informant ja anonym bleiben. Auch die MPG will Namen von Zeugen offenlegen, wenn dies für die Verteidigung erforderlich sei. Vom Ergebnis des Prüfverfahrens erfährt der Beschuldigte dann „unverzüglich“, der Informant „auf Verlangen“ – die Prioritäten sind eindeutig. Von Schutzrechten für den, der auf Verdächtiges hinweist, oder gar einer Garantie des Arbeitsplatzes, wie sie in den USA sogenannten whistleblowers vielfach gewährt wird, ist keine Rede.

Dort gibt es seit zehn Jahren das staatliche Office of Research Integrity (ORI). Etwa 1.500mal ermittelte es bisher bei Anzeigen von Fälschungen, Plagiaten oder anderen Unregelmäßigkeiten. Kritiker bemängeln die geringe Zahl der Fälle, in denen Verfehlungen nachgewiesen werden konnten. Wer aber erwischt wird, den trifft es hart: Das ORI veröffentlicht – für jedermann im Internet einsehbar – detaillierte Listen mit Forschern, die unsauberer Praktiken überführt wurden. Ihnen werden, meist zeitlich befristet, keine öffentlichen Mittel mehr gewährt und oft Auflagen für die weitere Arbeit gemacht.

Dergleichen erscheint hierzulande undenkbar. Als das Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in diesem Frühjahr öffentlich machte, daß auch dort Experimente manipuliert worden waren, erschien eine dürre, elf Zeilen umfassende Pressemitteilung dazu. Die Namen der Beteiligten wurden bis heute nicht offiziell bekannt gegeben. Die Anstellungsverhältnisse seien einvernehmlich beendet worden. Punkt. Inzwischen ist durchgesickert, daß die Fälschungen in der Abteilung von Professor Jozef Schell, dem wohl renommiertesten Pflanzengenetiker Deutschlands, stattgefunden haben.

Längst ist klar: Die traditionelle wissenschaftliche Selbstkontrolle verhindert Fälschungen nicht. Der geheiligte Prozeß des „Peer Review“, also die Begutachtung von Artikeln und Anträgen durch Experten, ist dazu nachweislich ungeeignet. Immer wieder werden Veröffentlichungen wegen Fehlverhaltens der Autoren zurückgezogen, nachdem sie zuvor die Begutachtung unbeanstandet passiert hatten.

Eine im Herbst auf einem Kongreß zum Thema Peer Review in London vorgestellte Studie zeigte gar: Selbst zurückgezogene Artikel werden von anderen Kollegen fleißig weiter zitiert. Richard Smith, Herausgeber des British Medical Journal, stellt fest, das Gutachterverfahren sei „teuer, langsam, anfällig für Vorurteile, offen für Mißbrauch; möglicherweise anti-innovativ und unfähig, Betrug zu entdecken“. Die Herausgeber britischer Medizinjournale schlossen sich daher zu einem Committee on Publication Ethics zusammen, um über wirkungsvollere Maßnahmen gegen Fälschungen zu beraten. Unter anderem fordern sie einen besseren Informantenschutz.

Doch das oberste Ziel der deutschen Wissenschaftsfunktionäre ist offenbar nicht, Betrug effektiver aufzuklären, sondern den Schaden in der öffentlichen Wirkung zu begrenzen. So beklagt der Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, Markus Schwoere, vor allem den „Vertrauensverlust der Wissenschaft bei der Bevölkerung“. Eine Aufsicht außerhalb der eigenen ständischen Mechanismen gilt es zu vermeiden. Die DPG formuliert als Zweck des Verhaltenskodex, er solle „dazu beitragen, eine staatliche Kontrolle, wie sie bereits in vielen Ländern üblich ist, unnötig zu machen“. Und laut DFG sollen die vorgeschlagen Ombudsleute vor allem „die Aufmerksamkeit demonstrieren, die die Wissenschaft ihrer eigenen Selbstkontrolle schenkt“.

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