: Flankierender Umweltschutz
■ Bei Hamburgs Bauern gibt's noch Lehrstellen / Landwirtschaft ist Teil des städtischen Grüngürtels / Ökohöfe nicht gefördert Von Heike Haarhoff
Spätestens beim zwanzigsten „Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen...“, wird die Bewerberei zur Qual: Keine Lehrstelle in Aussicht. In Hamburg mangelt es in allen Bereichen an Ausbildungsplätzen, klagt die Handelskammer. Die Suche dauere oft monatelang.
Darüber kann sich der 18jährige Lars Reimers nur wundern: Vor einem Monat hat er „ziemlich kurzentschlossen“ die Schule im Kreis Pinneberg geschmissen und streift nun seit genau einer Woche über die Felder der „Arbeiter- und Bauernstadt Hamburg“. Nicht ziellos, sondern mit präzisem Ausbildungsplan in der Tasche. Lars Reimers will Landwirt werden und ist damit einer der exakt zweieinhalb Menschen, die sich laut Statistik der Landwirtschaftskammer jährlich auf Hamburgs Höfen ausbilden lassen.
Die Bauern suchen Nachwuchs
„Die Bauern suchen händeringend nach Nachwuchs“, weiß Rolf-Dieter Reimann, Ausbildungsberater bei der Kammer. Lebenslänglich morgens um viertel vor sechs mit dem Frühstück fertig sein und dann zwölf Stunden ackern müssen ist eben nicht gerade attraktiv. „Die Betriebe kommen immer schlechter zurecht“, sagt Henning Wiesener von der Landwirtschaftskammer. Zwar sind in Hamburg die Zahl der Höfe (1 700, davon 1 200 mit Gemüse- und Zierpflanzenanbau) und die landwirtschaftlich genutzte Fläche (knapp 21 000 Hektar) seit Mitte der 80er Jahre in etwa konstant geblieben, „aber wir rechnen mit einer rückläufigen Tendenz“, so Wiesener. Wer heute sein Acker- und Weideland verkaufe, könne damit „enorme Wertsteigerungen“ erzielen. Das überlegen sich viele angesichts der ungewissen Zukunft: Immer mehr der 4 500 in der Landwirtschaft Beschäftigten sind gezwungen, durch Nebenerwerb Geld hinzuzuverdienen.
„Eigentlich haben nur noch die spezialisierten Höfe eine Chance“, sagt Landwirt Cord Ladiges, der in Rissen 80 Milchkühe hält. Hamburg sei eben eine Industrie- und Handelsstadt. „Das steht nicht im Widerspruch zur Landwirtschaft“, behauptet GAL-Wirtschaftsreferent Detlev Grube. Die Obstanbauflächen im Alten Land und auch die Gemüseanbaugebiete in den Vier- und Marschlanden würden als Naherholungsgebiete und Grünkorridore „noch weiter im Wert steigen, wenn die Stadt den ökologischen Landbau stärker fördern würde“, sagt der Kirchwerder Öko-Wirt Georg Eggers.
„Der Öko-Landbau ist Stiefkind geblieben“
Zwar erklärte der Senat in seinem Ende 1994 vorgelegten „Agrarpolitischen Konzept für Hamburg“ großspurig, er wolle Landwirtschaft und Gartenbau, die ein Fünftel der Gesamtfläche des Stadtstaats prägten, „als ökologische Ausgleichsräume sichern.“ Leider erfolgten aus den Worten keine Taten – die Zahl der Öko-geförderten Landbetriebe läßt sich an zwei Händen abzählen. Grube: „Der ökologische Landbau ist immer Stiefkind geblieben.“ „Die Stadt könnte viel mehr Anreize bieten; dann würden die Bauern auch umsteigen“, fordert auch Landwirt Eggers. Bessere Vermarktungsmöglichkeiten für die Öko-Produkte und finanzielle Unterstützung bei Ernteausfällen, die auf den Verzicht auf Schädlingsbekämpfungsmittel zurückzuführen seien, müßten her.
Alles eine Frage der politischen Steuerung, findet der GALische Landwirtschaftsexperte Alexander Porschke: „Mehr als ein Drittel der landwirtschaftlichen Flächen Hamburgs befindet sich in städtischem Eigentum.“ In den nächsten Jahren würden mehr als 60 Pachtverträge auslaufen. Bei der Neuvergabe hätte man längst entsprechend auswählen können.
„Das werden wir jetzt auch tun“, verspricht Hans-Joachim Becker von der Land- und Ernährungswirtschaftsabteilung der Wirtschaftsbehörde. Denn „nur“ vier Jahre nach deren Erscheinen hat der Hamburger Senat Ende Juni eine EU-Verordnung „Flankierende Maßnahme Umweltschutz“ in Landesrecht umgesetzt. Das Förderprogramm für ökologischen Landbau ist zunächst auf fünf Jahre begrenzt. 22 Millionen Mark, davon 13 aus dem hanseatischen Haushalt und der Rest aus Bonn und Brüssel, stehen dann für ökologischen Obstanbau und Landbau, extensive Produktionsverfahren und Grünlandbewirtschaftung sowie Stillegung von Agrarflächen zum Schutz der Natur zur Verfügung. Falls die Bürgerschaft nach der Sommerpause zustimmt.
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