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Die letzten drei von 66 Satelliten wurden um Mitternacht ins All geschossen - sie bilden das erste satellitengestützte Mobilfunknetz. Mit neuem Handy und dem nötigen Kleingeld ist man ab September auf dem Mount Everest ebenso wie am Titicac

Die letzten drei von 66 Satelliten wurden um Mitternacht ins All geschossen – sie bilden das erste satellitengestützte Mobilfunknetz. Mit neuem Handy und dem nötigen Kleingeld ist man ab September auf dem Mount Everest ebenso wie am Titicacasee unter einer Nummer erreichbar

Telefonieren, total global

Leidenschaftliche Telefonierer mit einer weltweiten Freundesschar und dem nötigen Kleingeld können in vier Monaten Bürger eines virtuellen Landes werden. Seine internationale Vorwahl: 008816. Das ist die Nummer, die die International Telecommunication Unio (ITU) dem Satelliten-Mobilfunknetz Iridium gegeben hat. Ab 23. September, 15 Uhr, soll Iridium einen neuen Abschnitt in der Geschichte der Telekommunikation einläuten: die totale globale Kommunikation.

Mit dem passenden Handy wird ein Iridium-Nutzer an jedem Winkel der Erde unter ein und derselben Nummer erreichbar sein – auch dort, wo noch in den kommenden Jahrzehnten kein Mobilfunkmast stehen wird, etwa in der Sahara, im Himalaja oder in weiten Teilen des Amazonas-Regenwaldes. Diese Möglichkeit bieten die Hunderte von Mobilfunknetzen, die es auf der Welt gibt, derzeit nicht einmal, wenn man sie miteinander verbinden würde. Denn nicht überall wird bisher derselbe Mobilfunkstandard verwendet. Während in Europa GSM verwendet wird, funken amerikanische Handies auch mit AMPS. 93 Prozent der Erdoberfläche haben bislang noch überhaupt keine Infrastruktur für mobile Telekommunikation.

Möglich wird die weltweite Kommunikation durch 66 Fernmeldesatelliten, die Iridium, ein internationales Konsortium, in den letzten zwölf Monaten in den Orbit geschossen hat. Die letzten drei sollten vergangene Mitternacht von Vandenberg (Kalifornien) aus in eine Umlaufbahn geschossen worden sein.

Hauptteilhaber bei Iridium ist das schwedische Telekommunikationsunternehmen Motorola, das die Übertragungstechnik liefert. In 780 Kilometer Höhe überfliegen die Satelliten auf sechs verschiedenen Umlaufbahnen den Globus; sie decken lückenlos die gesamte Erdoberfläche ab. Beim Flug ändern sie zwar ständig ihre Position über der Erde im Unterschied zu den in der Telekommunikation häufig verwendeten geostationären Satelliten, die in 36.000 Kilometer Entfernung immer über derselben Erdregion verharren. Doch wegen ihrer geringen Höhe können die Iridium-Raumsonden mit solch schwachen Funksignalen arbeiten, wie sie Handies benutzen. Satellitentelefone, die geostationäre Satelliten anpeilen, passen bisher in keine Hosentasche.

Wie funktioniert ein Gespräch im Iridium-Netz? Will etwa ein Bergsteiger vor dem Gipfelsturm am Matterhorn noch mal mit seiner Freundin telefonieren, die gerade vor Feuerland beim Whale- Watching ist, geht das Funksignal an den nächsten vorbeifliegenden Satelliten. Der kann vier benachbarte Satelliten anfunken und so das Telefonat bis zu demjenigen weiterreichen, der gerade Feuerland überfliegt. Anders läuft dies, will der Kletterer mit Freunden telefonieren, die nur einen herkömmlichen Telefonanschluß haben. Dann wird das Gespräch von den Satelliten zu einem der weltweit elf „Gateways“ auf der Erdoberfläche gesendet. Diese speisen das Telefonat dann in ein lokales Festnetz – wie das der Telekom – oder in ein terrestrisches Mobilfunknetz ein. Das Gateway für Europa befindet sich bei Rom.

Rund fünf Milliarden Dollar hat das Iridium-Konsortium, zu dem auch die Veba gehört, hierfür investiert. Wer so viel Geld ausgibt, muß ein Bombengeschäft wittern. Das US-Beratungsunternehmen Forrester Research schätzt den Markt auf etwa 25 Millionen Nutzer weltweit. Iridium selbst ist optimistischer und rechnet mit 42 Millionen Kommunikationsteilnehmern. Dazu zählt das Konsortium jeden, der mindestens dreimal im Jahr eine interkontinentale Reise macht. Das sind vor allem die Handlungsreisenden im Zeitalter der Globalisierung. Für ein Iridium-Handy werden sie voraussichtlich 3.000 Dollar (etwa 5.000 Mark) hinblättern. Was ein einminütiges Gespräch kosten wird, ist derzeit noch unklar. Der Preisrahmen liege zwischen fünf und sieben Dollar pro Minute, sagt Sabine Hage, Sprecherin der deutschen Iridium-Sektion.

Die teuren Iridium-Handies, die in zwei Versionen von Motorola und Kyocera hergestellt werden, sind sogenannte Dual-Mode-Handies. Mit ihnen kann man wahlweise im Iridium-Netz oder in einem der lokalen digitalen Mobilfunknetze telefonieren, die mit Iridium ein sogenanntes Roaming – die Nutzung eines fremden Netzes – vereinbart haben. In Deutschland sind das e-plus, D1 und D2.

Das Motorola-Gerät, das 450 Gramm wiegt, hat einen Satellitenempfänger für das Iridium-Netz und einen Einschub, in den ein Empfangsteil für einen der derzeit gängigen Mobilfunkstandards geschoben werden kann. Beim Kyocera-System hat man eine sogenannte Dockingstation, in der der Satellitenempfänger eingebaut ist.

E-plus-Kunden können ab September aufs Iridium-Handy umsteigen und unter ihrer e-plus- Nummer überall telefonieren. Wer jedoch häufig in menschenleeren Weltgegenden seinem Job nachgeht, läßt sich besser gleich eine Iridium-Nummer geben. Die Telefonrechnung schickt hierzulande entweder e-plus oder Iridium selbst. Neben Telefonaten soll auch ein Paging-Dienst angeboten werden. Das sind kurze Mitteilungen, die im Display des Handys angezeigt werden. Ab Frühjahr 1999 will Iridium dann auch Fax- und Datenübertragung anbieten.

Das Iridium-Netz soll erst der Anfang der Satellitennetze sein. Zwei weitere Konsortien sitzen in den Startlöchern: Globalstar, zu dem auch die Dasa gehört, will 48 Satelliten hochschicken, ICO unter Beteiligung der Telekom 12 Satelliten. Motorola plant schon das nächste Netz. Das ehrgeizigste Projekt aber kommt von Bill Gates. 248 Satelliten will Teledesic, das der Microsoft-Chef mit dem Mobiltelefon-Pionier McCaw gegründet hat, im All installieren.

Skeptiker unken allerdings, daß diese Netze ein teurer High-Tech- Flop werden. Als das Iridium-Netz vor zehn Jahren geplant wurde, steckte der Mobilfunk noch in den Kinderschuhen. Inzwischen entstehen weltweit ständig neue lokale Netze. Und eine Vereinheitlichung des Funkstandards scheint auch nicht mehr utopisch. Ende Januar einigten sich die führenden Anbieter von Mobiltelefonen in Europa auf das Universal Mobile Telecommunications System UMTS, das in einigen Jahren den GSM-Standard ablösen und weltweit gelten soll. Dann könnte Iridium zu teuer sein. „Die Typen werden jeden Cent verlieren, den sie in ihr Netz gesteckt haben“, zitierte das US-Magazin Wired kürzlich einen Branchenkenner. Niels Boing

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