: Totalverweigerer erleiden Rückschlag
■ Weil sie Gleichgesinnte vor Gericht vertraten, sind zwei Totalverweigerer verurteilt worden. Grundlage ist ein Gesetz von 1935
Hannover (taz) – Weil sie mit Genehmigung der Amtsgerichte Münster und Husum dreimal andere Totalverweigerer in Strafverfahren verteidigt haben, sind zwei Pazifisten aus Braunschweig von ihrem heimatlichen Amtsgericht zu einem Bußgeld von je 1.100 Mark verurteilt worden. Der Diplom-Mathematiker und der Bildhauer aus Braunschweig, die selbst Wehr- und Ersatzdienst verweigert hatten, waren von den Amtsgerichten Münster und Husum nach einer selten angewandten Bestimmung der Strafprozeßordnung zu Verteidigern ohne Anwaltszulassung bestellt worden. Dieses ehrenamtliche Engagement für andere Totalverweigerer wertete das Amtsgericht Braunschweig am Mittwoch als Verstoß gegen das aus dem Jahr 1935 stammenden Rechtsberatungsgesetz.
Nach Auffassung der Braunschweiger Amtsrichterin Martina Quade-Polley sind die beiden Totalverweigerer zwar unentgeltlich, aber dennoch „geschäftsmäßig“ als Verteidiger tätig gewesen und haben damit gegen das Rechtsberatungsgesetz verstoßen. Als Indiz für das geschäftsmäßige Besorgen fremder Rechtsangelegenheiten wertete die Amtsrichterin die besondere Sachkunde der beiden Pazifisten und etwa auch die Tatsache, daß auf Bundestreffen der Totalverweigerer gegenseitige Unterstützung in Strafprozessen beschlossen worden war.
Der Verteidiger der beiden Totalverweigerer, der ehemalige Richter am Braunschweiger Oberlandesgericht, Helmut Kramer, kündigte am Mittwoch an, notfalls wegen der Bußgelder auch Verfassungsbeschwerde einzulegen. Das Rechtsberatungsgesetz schränke das Recht der freien Verteidigerwahl unzulässig ein und verstoße damit letztlich gegen das Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes, sagte Kramer. In bestimmten Bereichen wie etwa der Kriegsdienstverweigerung, dem Ausländer- oder dem Sozialhilferecht, in denen Anwälte wenig verdienen könnten, sei Rechtsberatung durch Nichtjuristen notwendig und auch längst üblich. Mit dem Rechtsberatungsgesetz seien nach 1935 jüdische und oppositionelle Juristen gänzlich aus den Gerichtssälen verbannt worden. Heute werde es sehr selektiv angewandt, etwa gegen Strafgefangene, die Mithäftlinge rechtlich beraten. Jürgen Voges
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