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Ruf nach Neuwahlen in Indonesien

Auch im Kabinett Habibies wird die Forderung nach einer neuen Regierung mit einem Mandat der Bevölkerung laut. Als Zeichen des guten Willens sollen einige politische Gefangene freigelassen werden  ■ Aus Jakarta Jutta Lietsch

Kaum hat Indonesiens neuer Präsident Bacharuddin Jusuf Habibie sein Kabinett vereidigt, diskutieren die IndonesierInnen schon über das Ende seiner Regierung. Sogar Minister sprechen bereits von Neuwahlen: „Wir brauchen eine neue Regierung mit einem neuen Mandat des Volkes“, sagte der einflußreiche Ginandjar Kartasasmita, der im Kabinett Wirtschaft, Finanzen und Industrie koordiniert. Ein Ende der Wirtschaftskrise sei nur zu erreichen, wenn dafür ein besseres politisches Klima geschaffen werde, erklärte Ginandjar. Es ist allerdings bisher nicht klar, ob der neue Regierungschef bis zum Jahr 2003 im Amt bleiben will.

Die politische Zukunft Indonesiens ist daher völlig offen. Wenn vorzeitig Wahlen stattfinden sollten, muß nach Ansicht von Oppositionellen geklärt werden, welche Parteien teilnehmen dürfen. Habibie bemüht sich unterdessen, sich von seinem Vorgänger abzusetzen. Er kündigte grundlegende Reformen in Politik, Wirtschaft und Justiz an. Er will einige Oppositionelle, darunter auch den Muslimführer Amien Rais, zu Beratern machen, hieß es in Jakarta.

Der neue Informationsminister, Junus Yosfiah, versprach gestern mehr Pressefreiheit. Es wird erwartet, daß heute einige politische Gefangene entlassen werden. Dazu zählen der Ökonom Sri Bintang Pamungkas, der wegen Beleidigung von Präsident Suharto zu 34 Monaten Haft verurteilt worden war. Außerdem soll der Gewerkschaftsführer Muchtar Pakpahan freikommen.

„Ich stimme zu, daß die Regierung jetzt politische Gefangene amnestieren, ihre Urteile annullieren und sie rehabilitieren sollte“, erklärte der neue Justizminister Muladi. Habibie kündigte an, repressive Gesetze, die politische Aktivitäten einschränken, abzuschaffen. Ob allerdings auch der zu 20 Jahren Haft verurteilte osttimoresische Freiheitskämpfer Xanana Gusmao freikommt, ist fraglich. Insgesamt sitzen nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen 186 Dissidenten hinter Gittern, über 400 warten im Gefängnis noch auf ihre Verhandlung. Erstmals durften Journalisten gestern im Cipinang-Gefängnis mit den politischen Häftlingen sprechen.

Die Familie des am vorigen Donnerstag zurückgetretenen Suharto hat am Wochenende weiter an Einfluß verloren. Sein Schwiegersohn, Generalleutnant Prabowo Subianto, vor kurzem noch Kommandeur der „Strategischen Reserve“ wurde überraschend Chef der Generalstabsschule. Dies kommt einer Degradierung gleich.

Prabowo galt als starker Mann in der Armee, den viele Indonesier wegen seiner Skrupellosigkeit fürchteten. Er verdankte seinen Aufstieg allein Suharto. Auch einige Getreue Prabowos in der Armee wurden auf unwichtige Posten versetzt. Damit hat Armeechef und Verteidigungsminister Wiranto offenbar seine Position als einflußreichste Persönlichkeit nach Habibie ausgebaut.

In Jakarta ist nach den schweren Unruhen, die über 500 Menschen das Leben kosteten, inzwischen wieder Ruhe eingekehrt. Panzer und Militär sind abgerückt. Der Verkehr fließt wieder vor dem Präsidentenpalast, das Freiheitsdenkmal ist wieder zugänglich. Nur unter den Bäumen lagern noch ein paar Dutzend Soldaten. Am Wochenende hatten Uniformierte das von Studenten besetzte Parlamentsgebäude geräumt. Die Hochschüler kündigten neue Demonstrationen gegen Habibie an, den sie für einen Repräsentanten des alten Regimes halten.

Märkte und Geschäfte sind geöffnet, viele ins Ausland geflüchtete chinesischstämmige Indonesier kehren nach Jakarta zurück. Vor allem die chinesische Bevölkerung war während des Aufruhrs Ziel des plündernden und brandschatzenden Mobs.

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