Alles auf Anfang

■ EU-Kommissar van Miert hat über Bertelkirch entschieden, aber der Poker in Brüssel geht weiter. Nachdenken über Alternativmodelle

Bei der Kirch-Gruppe machte man einfach die Augen zu. „Wir sind weiterhin der Auffassung, daß das vorliegende Konzept genehmigungsfähig ist“, ließ TV-Herrscher Leo Kirch erklären, während aus der EU-Wettbewerbsbehörde des Karel van Miert längst das „Nein“ des Kommissars zu den Fusionsplänen Kirchs mit Bertelsmann in die Welt hinausgeschickt wurde. Dabei hätten die Konzerne wissen müssen, wie der Kommissar über die Genehmigungsfähigkeit denkt: Sein letztes Ultimatum, terminiert auf Samstag, 18 Uhr, hatten sie verstreichen lassen. Und was dann passieren würde, daran hatte van Miert in seinem Brief keinen Zweifel gelassen.

In den Konzernzentralen hofft man noch auf den Mittwoch. Dann wird die EU-Kommission ihren formalen Beschluß treffen. Van Miert sei ja nur ein Kommissar unter 20, ist vieldeutig zu hören. Noch einmal aktivieren die Konzerne dieser Tage alles, was an Lobbyismus aufzubieten ist. Der künftige NRW-Regierungschef Wolfgang Clement (SPD) rief dem Vernehmen nach unablässig in Brüssel an und versuchte, van Miert umzustimmen. Auch Kirch-Freund Helmut Kohl und Bayerns Edmund Stoiber sollen noch einmal tätig geworden sein. Doch daß andere EU-Kommissare wie Martin Bangemann (Wirtschaft), Edith Cresson (Forschung) und Marcelino Oreja (Kultur), die für den politischen Druck empfänglicher sind, morgen ihren Fachkollegen ebenso überstimmen wie den beratenden Ausschuß der obersten EU-Kartellwächter, in dem sich gestern ebenfalls ein mehrheitliches Nein abzeichnete – das wäre ein beispielloser politischer Eklat. Einen Ausweg hatte van Miert noch einmal gelassen: Die Konzerne könnten ihre Anträge zurückziehen und mit den vorgeschlagenen Modifikationen neu einreichen – das bringe Zeit. Doch das schien den Konzernen unmöglich – weitere Verzögerungen würden sie noch mehr kosten als die geschätzt deutlich über 200 Millionen Mark, die allein Bertelsmann mit seiner CLT-Ufa durch das Brüsseler Hin und Her schon in den Sand gesetzt hat. Ebensowenig sah man sich in der Lage, den letzten Van-Miert-Wunsch zu erfüllen: Der wollte, daß die einzelnen Kanäle des künftig vielkanaligen Pay-TV-Angebots von Bertelsmann/Kirch „entbündelt“ werden und wie in USA Sport und Spielfilm und Sex den Kunden einzeln angeboten werden. Soviel freie Wahl würde sich für sie nicht rechnen, entgegneten die Konzerne.

Am prekärsten sieht es nach einem Verbot für Kirch aus. Der Mogul, der einst alle Rechte an Spielfilmen und Fußballereignissen (z.B. die WMs 2002 und 2006) aufgekauft hatte, um im digitalen Pay-TV-Zeitalter der Alleinherrscher zu sein, steht vor einem Scherbenhaufen. Mehr als eine Milliarde Mark hat er mit seinem gescheiterten Soloversuch DF 1 verloren, seine wichtigsten Beteiligungen (Springer, Sat.1) hat er längst beliehen. Die Finanziers drängen auf Sicherheiten, der Staatsanwalt ermittelt wegen Steuerhinterziehung (400 Millionen), und nun bleibt auch noch die halbe Milliarde aus, die Bertelsmann für den Pakt rübergeschoben hätte. Allein sein Filmstock rettet Kirch noch vor dem Bankrott. Doch er wird wohl dem Drängen der Banken nachgeben müssen und Beteiligungen abstoßen.

Davor hat Bertelsmann Angst: Daß nämlich Teile aus dem Kirch- Imperium an Medienzar Rupert Murdoch gehen. Bei Bertelsmann traut man nicht so ganz der „Auffanglösung“, die man für den Verbotsfall mit Kirch vereinbart hatte. Denn eigentlich sieht der Plan vor, die Zusammenarbeit weitestmöglich auch ohne Genehmigung umzusetzen: Premiere soll dennoch zum digitalen Vielkanalpaket ausgebaut werden und dennoch über drei Viertel der Kirchschen Filmrechte verfügen, dennoch die Kirchsche d-Box-Technik nutzen und dennoch von beiden Partnern gemeinsam weitergeführt werden. Das können sie, sagen die Konzerne, weil sie schon bisher an dem Sender beteiligt sind. Doch zuviel ist unklar, als daß die Bertelsmänner ruhig schlafen könnten: Wird Kirch wegen seiner Finanznot zum unsicheren Kantonisten? Was geschieht mit den restlichen 37,5-Premiere-Prozenten, die derzeit bei einer Kirch-Tochter liegen und nach dem EU-Verbot wohl an die Franzosen vom Canal + zurückgehen müssen? Was, wenn im digitalen Allianzen- und Decodersalat alles wieder auf Anfang steht? Und wie soll die Vermarktung des Pay-TV organisiert werden, nachdem auch der Technikpakt mit der Telekom gescheitert ist?

Dafür immerhin gibt es schon Modelle. In der ARD verweist man auf die MMBG, die Firma, die einst Bertelsmann, Kirch und Telekom mit ARD, ZDF und anderen interessierten Sendern gegründet hatten, um die Digitaltechnik ohne Diskriminierung für einzelne einzuführen. Die andere Möglichkeit präferiert offenbar van Miert: Demnach würden die Telekom und andere Kabelfirmen wie Otelo die Vermarktung und Technik des Digitalfernsehens unabhängig von den Sendern regeln. Lutz Meier