■ Ungarn: Der rechte Sieg kann die Außenpolitik destabilisieren: Nationalistische Töne
An der Budapester Börse herrscht Panik. Ökonomen fordern die Gewinner der Wahlen und zukünftige Regierungspartei, die Jungdemokraten, auf, ihre Wirtschaftspolitik klarzustellen, um die Stabilität der ungarischen Wirtschaft nicht zu gefährden. Die Befürchtungen sind berechtigt. Doch diese Aufregung lenkt von einem anderen konfliktträchtigen Aspekt der zukünftigen Regierung ab – von ihrer Außenpolitik. Viktor Orban, aller Voraussicht nach Ungarns neuer Regierungschef, hat sie in der Wahlnacht in einem Satz zusammengefaßt: „Ungarns Staatsgrenzen sind nicht dieselben wie die der ungarischen Nation.“
Solche Worte haben in Ungarn eine unselige Tradition. Nach dem Ersten Weltkrieg verlor Ungarn zwei Drittel seines Territoriums; Millionen Ungarn fanden sich über Nacht in anderen Staaten wieder. Vor diesem Hintergrund fühlte sich Joszef Antall, Ungarns erster postkommunistischer Regierungschef, 1990 nicht als „Ministerpräsident von zehn, sondern von fünfzehn Millionen Ungarn“, also auch jener Ungarn, die als Minderheiten in Ungarns Nachbarländern Slowakei, Ukraine, Serbien und Rumänien leben. Folge dieser Politik, die bestehenden Grenzen so lange nicht anzuerkennen, bis die Auslandsungarn nicht alle Minderheitenrechte genießen würden, waren ständige Konflikte mit den Nachbarländern. Und vor allem in der Slowakei und in Rumänien trugen sie dazu bei, nationalistische Hysterie zu schüren.
Den ungarischen Sozialisten gebührt das Verdienst, die Spannungen mit den Nachbarländern entschärft zu haben, ohne dabei auf den Anspruch zu verzichten, sich für die legitimen Rechte der ungarischen Minderheiten einzusetzen. Namentlich die einstigen Erzfeinde Rumänien und Ungarn haben einen vielversprechenden Aussöhnungsprozeß begonnen.
Viktor Orban setzt diese Aussöhnung mit den Nachbarländern nun aufs Spiel. Nicht erst seit Sonntag sind von ihm zwiespältige Äußerungen zu hören. Wie schon Antall sieht sich auch Orban als Ministerpräsident von fünfzehn Millionen Ungarn. Er und die Jungdemokraten verlangen „neue und bessere Grundlagenverträge“ mit den Nachbarländern. Dies interpretieren Ungarns Nachbarländer als Territorialforderungen. Wenn Ungarns künftige Regierung tatsächlich Orbans Angekündigungen folgt, dann ist seine Regierung nicht die eines „neuen Jahrhunderts“, sondern die einer Rückkehr in die nationalistische Eiszeit. Keno Verseck
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