: Liebeserklärung fürs Viertel
■ „Die Straße“ ist ein Plädoyer für Stadtteilkultur / Heute eröffnet die Ausstellung über das urbane Leben zwischen Goethetheater und Steintor im Focke-Museum
„Gut, ich geh' mal zu Comet. Hm ..., dann kommen erstmal die Junkies, das Unangenehme zuerst“. Zwei Sätze Bremer Alltag. Kaum vorstellbar, daß Sie sich nicht schon verortet hätten. Doch hören Sie ruhig noch ein bißchen zu, hier spricht eine Stadtmenschin: „Dann kommt so'n ganz schöner Bäcker und kleine Geschäfte, wo ich reingucke, das ist angenehm, Schmuckgeschäfte, 'n paar Klamottengeschäfte. Zwischendurch kommen immer wieder Gestalten, die sich auf dem Bürgersteig dick machen, an denen man sich vorbeischlängeln muß. Dann kommt der Markt beim Ziegenmarkt, das ist schön, die Blumen, der Duft dort.“
Ein kulturwissenschaftliches Leitfadeninterview im Rahmen der Ausstellung „Die Straße, Urbanes Leben im Viertel“ hatte dieses imaginäre Flanieren durch den intakten Stadtraum provoziert (“Beschreiben Sie die Reihenfolge der Dinge, die Sie entlang des Weges sehen, hören und riechen werden“) undrundete die Fragestellung auch zu einer beruhigenden wissenschaftlichen Zirkularität ab: Jawohl, das Leben im Bremer „Viertel“ hat urbane Qualitäten und bereitet einen ganz offenkundigen Sinnenschmaus.
Und auch „Die Straße“ selbst – die Ausstellung über das Leben zwischen Goethetheater und Steintor – ließe sich auf diese Grundaussage reduzieren. Doch wie die 23 StudentInnen der Kulturwissenschaft, Kunstpädagogik und Geografie (gemeinsam mit ihren Professoren Michael Müller und Franz Dröge) ihre kleine Liebeserklärung für den Viertel-Boulevard in Szene setzen, das macht den Zirkelschluß dann doch wieder vertrauenswürdig.
Nicht einen „kleinen zoologischen Garten“, sagt Michael Müller, sondern eine Ausstellung „für die Experten, die wir in den Dingen des Stadtalltags doch alle sind,“ habe man auf den 500 Quadratmetern Ausstellungsfläche inszenieren wollen. So zerlegte man die Flaniermeile längs der östlichen Vorstadt lieber in ihre Einzelteile. In drei parallelen Zügen zieht sich „Die Straße“ quer durch den Raum. Rechter Hand die Galerie der Waren; Vitrinen mit Schuh, Kleid, Shampooflasche, Methadonpäckchen. Das ist die schöne Welt der Güter und Produkte, ein liebevolles Augenzwinkern der Museumswelt mit den 280 Schaufenstern der Einzelhandelsladenzeile hinterm Ostertor. Mittendurch auf Blickhöhe zieht sich Haus für Haus – Foto für Foto – ein schmaler Grad von Architektur, der nur am Sielwall durch vier Monitore unterbrochen ist: 24-Stunden Kreuzungsverkehr, auf 3 Minuten gerafft. Und hinter den gediegenen Stellwänden des Focke-Museums zieht sich ein dritter Parcours durch die Ausstellung: Einblicke in die Geschichte einer Straße, die vor 650 Jahren als Steenstrate – als mit Steinen befestigte Chaussee – die Händler von Bremen nach Hamburg führte und heute als Sackgasse in Hastedt endet.
Das und sehr, sehr viel mehr über den Ostertorsteinweg erfährt, wer zur Ausstellung sich noch den Katalog besorgt. Und man ahnt auch, daß es einmal mehr ein kollektiver Widerwille war, der zu der einjährigen Kulturleistung von 23 Studenten und ihrer Professoren führte. Mehr als das längst ad acta gelegte Thema der Mozarttrasse waren es wohl die Versuche einer Verkehrsberuhigung der „Straße“ vor zwei Jahren, die die Kulturwissenschaftler skandalisierte. Widersprechen diese doch diametral ihrer Liebeserklärung zur Durchmischung der (Verkehrs-)Kulturen. Nur schade, daß anschließend der Mut fehlte, im Interview mit Ortsamtsleiter Robert Bücking diese Aversionen gegen Poller der Widerrede auszusetzen.
Statt dessen passierten im Eifer des Gefechtes für heterogene Stadtkultur schon mal Gemeinplätze das Auge des Lektors, die den Leser schaudern machen (“Die klassischen Funktionen der Stadt – Wohnen, Versorgung, Arbeiten und kulturelle Angebote und Freizeit – existieren hier in einer gesunde Mischung nebeneinander“) – erstaunlich nüchtern hingegen die Auseinandersetzung mit den Aussichten auf eine Global City. Die – scheint's – schreckt einen echten Viertel-Bewohner kaum. ritz
Die Ausstellung „Die Straße. Urbanes Leben im Viertel“ läuft vom 29. Mai bis zum 23. August als Sonderausstellung im Haupthaus des Focke-Museums
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