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■ StandbildDer Ossi als Indianer

„37 Grad: Die Vollstreckung. Wenn der Gerichtsvollzieher kommt“, Dienstag, 22.15, ZDF

Eine Reportage muß nichts verändern. Ihre Aufgabe ist es, einen Sachverhalt darzustellen. Im Idealfall macht eine Reportage die Zwiespältigkeit des Sachverhalts deutlich. Das alles muß hier einmal vorab gesagt werden, weil dem Zuschauer das Fernsehen manchmal so unbeendet, so armselig vorkommt: Reportage zu Ende, nächster Film ab. Da sitzt man, wenn die Reportage gut war, dann mit seinen halbgaren Gefühlen herum.

Petra Cyrus und Martin Rötger haben einen Gerichtsvollzieher auf dem Weg durch Ostberliner Plattenbauten begleitet. Pfändungen, Räumungen, auch Verhaftungen von Schuldnern, die sich weigern, eine eidesstattliche Bankrotterklärung abzugeben. Daß dieser Job Jörg-Peter Müller wenig Freude bereitet, wird nur zu deutlich. Eine elfköpfige Familie steht vor der Räumung, weil das Sozialamt die Miete von 1.500 Mark nicht übernimmt. Die Unterbringung der Familie im Heim würde sich auf 8.300 Mark monatlich belaufen; dazu kämen 13.000 Mark Räumungskosten.

Diese Rechnung macht der Gerichtsvollzieher dem Sozialamt nicht ohne eigene Emotionen auf. Er stößt dort nur auf taube Ohren. Der Zuschauer lernt noch einmal, was er schon weiß, nur ist die Methode grausamer, weil naturalistischer: Wer sich selbst vor der Amtsmacht nicht hinreichend demütigt, „muß mal die Konsequenzen fühlen“.

Acht Prozent der Haushalte in der Ex-DDR sind verschuldet (im Westen sind es nur sechs Prozent). Die Schuld gibt der Film der Gutgläubigkeit, den Versandhäusern, Ärzten, Familiengerichten, Staubsauger- und Zeitschriftenvertretern und der Arbeitslosigkeit. Die Ossis als Indianer Deutschlands, denen man Zeitschriften und „Quelle“- Couchen als funkelnde Glasperlen hinwarf – ich persönlich mag diese sehr populäre sozialpädagogisierende Abwertung erwachsener Menschen nicht mehr ertragen.

Tatsächlich sind die meisten Kunden von Gerichtsvollzieher Müller Mietschuldner. „Einmal Schuldner, immer Schuldner“, sagt der Mann resignierend. In vier Stunden wird eine andere Wohnung, ein ganzes Leben, komplett für 6.400 Mark Räumungskosten entsorgt. Mit diesen Schulden zieht der Bewohner in die Obdachlosigkeit. Das sind, in jedem Sinn, keine Verhältnisse. Anke Westphal

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