: Grüner Scherbenhaufen
■ betr.: „Die übersehene Gefahr“, taz v. 18. 5. 98
Katzenjammer hat sich eingestellt bei den Grünen, und Angst breitet sich aus vor dem drohenden Verlust ihres parlamentarischen Daseins. Dabei sind sie doch einst angetreten als außerparlamentarische Opposition. Die Möglichkeiten der Verfassung nutzend, um ihre Vorstellungen einer anderen, besseren Welt voranzubringen. Partei und Parlament waren damals Mittel, nicht der Zweck und das Endziel selbst. In dem Moment, als der Parteienapparat anfing, sich zu verselbständigen, sich von den ihn tragenden Kräften zu emanzipieren, begann der Aufstieg der Grünen im bürgerlichen Machtgefüge und ihr Abstieg als über die herrschende Politik hinausweisende Kraft.
Micha Brumlik ist beizupflichten, wenn er die Bündnisgrünen und die FDP in einem Atemzug nennt. Beide vertreten vorgeblich liberale Ideen; die einen links-, die anderen rechtsliberale. Wahrlich heute kein großer Unterschied mehr. [...]
Es gibt die These, daß Motor der grünen Bewegung in Deutschland nicht die ökologische Krise des Kapitalismus war. Nach dieser These war es der Zustand der deutschen Linken, der Entstehen und Aufstieg einer außerparlamentarischen, fundamentalen Opposition erzwang. [...] Nicht wenige sahen in der grünen Bewegung eine Möglichkeit, einen dritten Weg einzuschlagen. Viele träumten von einem menschlichen, demokratischen, ökologischen Sozialismus. Der Traum war bekanntlich schon kurz nach den ersten parlamentarischen Erfolgen der Grünen ausgeträumt.
So stehen die Grünen heute vor einem Scherbenhaufen. Verzweilfelt suchen sie nach Versatzstücken ehemaliger Größe. Dabei haben ihre FührerInnen in den letzten Jahren alles zerschlagen und abgehackt, was für die grüne Bewegung bedeutend war. Ein Torso ist übriggeblieben, so nicht lebensfähig, dem der Autor neue Lebenskraft einhauchen will. Aber selbst den Gutwilligsten ist wohl nicht mehr klarzumachen, warum sie eine Partei wählen sollen, die in ihrer parlamentarischen Mehrheit eine Militärpolitik unterstützt, die sie früher die politische Existenz innerhalb der Bewegung gekostet hätte: Aufrüstung und Beteiligung an imperialistischen Kriegsmaßnahmen. Und warum sollte eine Partei gewählt werden, deren erklärtes Ziel es ist, eine Bundesregierung zu bilden, um zusammen mit der SPD die alte, schon vor 16 Jahren gescheiterte „Reformpolitik“ wiederaufzunehmen. [...] Wolfgang Maul, Nürnberg
Micha Brumlik sieht die Möglichkeit, daß die Grünen nicht mehr oder doch nur sehr geschwächt in den Bundestag einziehen, als eine als Gefahr für die Linke zu definierende Situation! Von daher sei strategisch nicht wünschenswert, daß die PDS den Wiedereinzug in den Bundestag schafft. Nach diesen apodiktischen Feststellungen fällt dem Politstrategen dann plötzlich, so ganz en passant, noch ein, daß die Grünen einen ungrünen „Realitätsbezug“ erworben hätten, daß die Cousinenwirtschaft zu den kleineren Ärgernissen zu rechnen sei angesichts der Tatsache, daß man das Thema „soziale Gerechtigkeit“ den PDSPD-Parteien überlassen hat.
Warum klärt Brumlik denn nicht vorab, warum wir die Grünen im Moment und in der Verfassung, in der sie sich derzeit präsentieren, überhaupt im Bundestag haben müssen? Wäre es unter diesen Voraussetzungen nicht sinnvoller, via Stimmzettel zu verdeutlichen, daß diese Partei zwar möglicherweise in der moralischen Normalität (Ämterpatronage, Pfründensicherung, Inkompetenz etc.), nicht aber bei linken Wählern angekommen ist?
Brumlik hält es für strategisches Denken, wenn er formuliert: Weil Fischer als One-man-Show für Linke gut ist, ist die Partei eine zu schluckende Kröte! Eine doch recht ungewöhnliche Wahlempfehlung! Peter Milberg, Schwalmstadt
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