■ H.G. Hollein: Roß oder Reiter
Die Frau, mit der ich lebe, mag Pferde nicht. Vor allem Hengste. Trotzdem ißt sie sie angeblich nicht gern. Das mag in einer frühkindlichen Verwechslung von Rost- mit Roßbratwurst begründet liegen. Es ist nämlich keineswegs so, daß die Gefährtin prinzipiell kein totes Fleisch ißt. Sushi zum Beispiel ist ihr Höchstes, und roher Fisch ist doch recht eigentlich töter noch als tot. Andererseits löst beim Gang über den Wochenmarkt der Stand des Pferdeschlachters bei der Gefährtin regelmäßig faszinierten Grusel aus. Das mag an der Kundschaft liegen, die mit dem mißtraurisch-trotzigen Gehabe offensiver Vampiristen ihre Zähne in die hippischen Bratlinge schlägt. Eine gute Thüringer dagegen verschmäht die Gefährtin keineswegs. Dabei stammen ihre eigenen Ahnen aus der namensgebenden Region. Eine – zumindest nominelle – Artgenossin zu verspeisen macht ihr offenbar nicht das Geringste aus. Ob sich hier Unterschwellig-Abseitiges auftut? Wenn ich's recht bedenke, äußert sich die Gefährtin auch signifikant häufig appetitbezogen über vorbeiwandernde „einladende“ Hüften und „knackige“ Hintern. Ist es also etwa ein verbotener Drang, der uns, wie durch Zufall , immer wieder in jene abgelegenen Seitenstraßen, jene scheinbar unvermeidlichen Standortrefugien verschwiegener Pferdemetzgereien führt? „Das sind doch Kannibalen, die so was essen!“ befindet die Gefährtin dann kopfschüttlend vor der Auslage. Sie schüttelt den Kopf allerdings jedesmal sehr lange. Wie gesagt: die Gefährtin mag Pferde eigentlich nicht. Sie seien ihr zu groß. Ich frage mich mittlerweile: „Zu groß wofür?“ Findet angesichts des tabuisierten Pferdefleisches etwa eine Übertragung statt? Die Gefährtin mag schließlich auch Haxen nur nicht, „weil da zu viel Fett dran ist“. Was sie dagegen durchaus mag, ist ein gut angemachtes Steak Tartar aus rohem Beefhack. „Weil man dann nicht mehr erkennt, was das mal war.“ Oder weil man sich genüßlich vorstellen kann, wer das vielleicht gewesen sein könnte?
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