piwik no script img

Kunstbegriff mit Löchern

Wo sich Museumsdirektoren, BDI-Kulturmäzene und Dienstleistungskünstler einig werden: In Leipzig hat die Galerie für Zeitgenössische Kunst eröffnet  ■ Von Kathrin Bettina Müller

Kunst verschwindet. Die Lust an ihrer Selbstauflösung und Tarnung prägte die Eröffnung der Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig. Verspeist ist das Menü, das Rirkrit Tiravanija im alten Speisesaal der zum Ausstellungshaus umgebauten Villa servieren ließ. Der Stadtreinigung zurückgegeben werden die 640 Müllcontainer, die Dan Peterman (aus Chicago) zu einem skulpturalen Block im Garten gestapelt hat, denn vorbildlich wie stets schont er Materialressourcen. Die Kojen aus Glas, die Swetlana Heger & Plamen Dejanov wochenweise zur Vermietung anbieten, werden bald zum Museumsshop umgebaut. Nichts bleibt bestehen im Kreislauf der Waren.

Der Künstler als Dienstleister, Vermieter und Lizenzgeber: Für die Befreiung der Kunst von ihren Werken steht schon der Titel der Eröffnungsausstellung „ontom“, ein Produkt aus Adib Frickes Agentur zur Erfindung und Vermietung von Worten. Andere Künstler suchen die Kollaboration des Besuchers: Jens Haanings Büro zum Tausch der Staatsbürgerschaft ist ebenso auf aktive Teilnehmer angewiesen wie das Tattoo-Studio von Simone Westerwinter. Ihr kostenloses Angebot: Ein simples „Ja“ kann man sich in die Haut stechen lassen, für Unentschlossene auch als Aufkleber erhältlich.

Wem von diesem Handel mit Identitäten der Kopf schwindelt oder wer den Flirt mit den Strategien der Vermarktung als zu kokett empfindet, der kann im zweiten Stock des neuen Hauses wieder Ruhe finden. Zwei kleine Figuren von Stephan Balkenhol, die im neu angebauten Treppenhaus auf einem Träger balancieren, weisen den Weg zur Sammlung der Leipziger Galerie. Deren Bestände bilden die Basis für das, was unten geschieht. Denn die aktuellen Positionen verdanken ihren Witz oft erst der Reibung an einem Kunstbegriff, der noch auf die Sammlung von „Weisheit und Reife“ setzte, wie Klaus Werner, Direktor der Galerie, die Tradition umschrieb.

Im größten Raum schlagen Bilder von Werner Heldt, Emil Schumacher, Gerhard Hoehme und Harald Metzkes den Bogen zurück zur Nachkriegszeit, als sich die Kunst in Deutschland ideologisch zu teilen begann. Diese von innerer Spannung vibrierenden Gemälde bilden eine Keimzelle der neuen Institution, die zuerst als Stiftermuseum geplant war. Die Idee dazu war bereits 1989 entstanden, als sich Klaus Werner, der als Galerist und Kunsthistoriker in der DDR um eine Öffnung des Spektrums bemüht war, und Arend Oetker, Vorsitzender im Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI, bei einem Rundgang durch die Dresdner Kunsthochschule kennenlernten. Der in westdeutschen Museen schon lange engagierte Kulturkreis brachte seine Sammlung der frühen Nachkriegsmoderne als erstes Kapital in die neue Initiative ein.

In den Jahren der Planung nahm man vom ersten, musealen Konzept Abstand: Nun geht es nicht mehr bloß um das Anknüpfen an historische Positionen, die in Ost- und Westdeutschland jeweils nur in Teilen zu sehen waren. Denn die Erfahrung der Fehlstellen und Brüche relativierte das Vertrauen in die kunsthistorische Erzählung und traf sich so mit den gegenwärtigen Vorbehalten gegenüber der Eigendynamik des Kunstbetriebs. Mit der jetzigen Zweigleisigkeit von Sammlung und aktueller Sabotage am Werkbegriff gelingt es der Galerie, den Eindruck des Nachholens zu vermeiden, der so oft den Beigeschmack der Anpassung hat. So entkommt das erste Ausstellungshaus, das in den neuen Bundesländer neu gegründet wurde, der Austauschbarkeit, die mittlerweile viele westdeutsche Museen eingeholt hat.

Die Sammlung soll jedes Jahr nur für drei Monate vorgestellt werden. Dem Saal der Malerei schließt sich ein kleiner Raum an, der mit den Schriftzeichnungen des kürzlich verstorbenen Carlfriedrich Claus, einer Vitrine von Olaf Nicolai und einer kleinen Fotoarbeit von Jochen Gerz der Schrift und dem Kommentar gewidmet ist. Der Weg in den Prozeß und die Beschreibung der eigenen Voraussetzungen werden hier schon eingeschlagen.

Das Ende des oberen Rundgangs bildet Adam Pages „Projekt Deutsche Einheit“, das die Ablösung bröselnder Stadtbilder durch kommerzialisierten Standard karikiert. Unter einem blauen Himmel hängen vier Modell-Inseln: im McDonald's-Stil renovierte Altbauten, Reihenhäuschen und Einkaufsmärkte auf der grünen Wiese.

Den aufregendsten Raum aber verdankt die Galerie dem Umbau der über hundert Jahre alten Villa zum durchlässigen Ausstellungshaus durch Peter Kulka. Er hat das alte Treppenhaus entkernt und die zweigeschossige Halle nur durch einen Gitterboden in zwei Ebenen unterteilt. So blickt man von der Sammlung aus durch einen Rost ins Erdgeschoß auf die mobile Ausstellungskoje von Heger & Dejanov. Zugleich erlauben durchgehende Fenster den Blick über einen schmalen Hof in den alten Speisesaal unten und den Malereisaal darüber.

Was sich innen so funktional ineinanderschiebt, erweist sich von außen als Bild mit hart markierten Brüchen. Breite Fugen trennen die mit grauen Platten verkleideten Neubauteile von dem mit Säulen und Giebeln reich gegliederten Altbau. Die Verblendung läßt den Neubau wie einen Karton erscheinen, der über die Gartenseite der getreppten Villa gestülpt wurde. Auch das Kutscherhaus im Garten wurde mit der gleichen eindeutigen Sprache um einen Atelieranbau erweitert, der Stipendiaten und Gästen als Arbeitsplatz dienen soll.

Den Umbau von elf Millionen Mark finanzierte zur Hälfte der Kulturkreis und zu je 25 Prozent die Stadt Leipzig und der Freistaat Sachsen. Der jährliche Etat von einer Million Mark wird von den drei Partnern zu je einem Drittel getragen. Klaus Werner sieht die jetzige Struktur mit sechs Personalstellen als sparsam arbeitende Zelle: Allein für dieses Jahr haben er und der junge Kurator Jan Winkelmann noch sieben Ausstellungen und zwei Vortragsreihen geplant. Für eine spätere Erweiterung hat sich die Galerie von der Stadt die Option auf anliegende Grundstücke erbeten. Im Vordergrund steht jetzt aber das Ziel, ein Publikum nicht nur unter Leipziger Kunststudenten zu gewinnen.

Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig, Karl-Tauchnitz-Str. 11, Leipzig (Sammlung bis 23. August, ontom bis 28. Juni)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen