: Sprachlos in Spectracolor
■ Frank Beyer und Ulrich Plenzdorf waren dabei, als die Stasi bei Manfred Krug lauschte. Doch ihre Verfilmung von Krugs Erinnerungen traut nur den Worten ("Abgehauen", ARD, 20.15 Uhr)
Manfred Krug hat sein Buch „Abgehauen“ in drei Sprachen verfaßt. Da ist zunächst das gesprochene Wort. Das wirkt wie gedruckt. Dann das geschriebene Wort. Das liest sich wie ein innerer Monolog. Und schießlich das gespitzelte Wort: schlechtes Deutsch in indirekter Rede.
Der Film „Abgehauen“ basiert auf dem gleichnamigen Buch von Manfred Krug, und ihm reicht eine einzige Sprache. Er läßt seine Schauspieler die Tonbandprotokolle nachsprechen und Manfred Krug aus seinen Tagebucherinnerungen vorlesen. Am Ende sieht man noch kurz den zwanzig Jahre jüngeren (echten) Krug, gerade rübergemacht, wie er um Fassung ringt und sich schließlich sprachlos abwendet. Es ist der einzige beredte Moment des Films.
Am 20. November 1976 trafen sich in der Ostberliner Villa von Manfred Krug elf namhafte DDR- Künstler mit drei namhaften Vertretern ihres Staates, um darüber zu diskutieren, weshalb Wolf Biermann (auch ein Namhafter) seit drei Tagen nicht mehr Bürger der DDR sein durfte. Manfred Krug hat dieses Gespräch heimlich auf Tonband mitgeschnitten und fast 19 Jahre später veröffentlicht. Da war längst klar, was aus den Unterzeichnern des „Biermann-Protestes“ geworden war.
Akribisch nachgestellt, dann aber nacherzählt
Jurek Becker würde bald gegangen sein. Ulrich Plenzdorf würde bleiben. Heiner Müller, Christa Wolf: Weststars. Stefan Heym, Frank Beyer, Angelica Domröse: Die Liste derer, die auf die ein oder andere Weise dem Westen bekannt wurden, ist lang und illuster. Krug war der erste, der in Folge des eigentlich recht zaghaft formulierten Protestes und den sich anschließenden (gar nicht zaghaften) Repressalien sein Land verließ. „Abgehauen“ erzählt die Zeit zwischen seinem Ausreiseantrag und seiner Ausreise.
Der Regisseur Frank Beyer und der Dichter Ulrich Plenzdorf waren seinerzeit zwei der elf in Krugs Villa. Sie haben das Gespräch zwischen dem Staat und seinen Künstlern akribisch nachgestellt. Aber offensichtich mochten sie dieser Begebenheit allein nicht trauen (war ihnen das zu karges oder zu intensives Fernsehen?). Also haben sie Manfred Krug an einen Tisch gesetzt, damit er zwischendurch erzählt, was bisher geschah und weiter geschehen würde. Kein antiker Chorführer, nicht einmal ein Zeuge in eigener Sache. Ein schlichter Geschichtenerzähler.
Auch wenn böse Zungen behaupten, Krug spiele sowieso immer nur sich selbst: Dieser Krug ist Krugs schlechteste Rolle. Zurückgenommen, blutarm, leblos. Plötzlich wirken die Worte, die beim Lesen so authentisch daherkamen, lächerlich aufgesagt und distanziert. Krugs ironischer Schnodderigkeit steht das ganz unironische, wissende Geraune gegenüber, mit dem Beyer und Plenzdorf die Spielszenen aufgeladen haben.
Es erinnert an die Zeit kurz nach dem Fall der Mauer, als uns Westlern das sibyllinische Sprechen des Ostens noch fremd war. „...Sie wissen schon...“, unterbrach sich der Sprecher gern mit einer pointierten Pause. Und man konnte gar nicht oft genug sagen: „Aber ich sagte doch, daß ich nicht weiß. Ich war doch nicht dabei. Und überhaupt: Warum hätte ich fragen sollen, wenn ich schon wüßte?!“
Daß es zuweilen verwirrend ist, wenn bekannte Schauspieler andere bekannte Schauspieler darstellen, ohne mit ihren Rollennamen vorgestellt zu werden – geschenkt! Aber warum glauben Plenzdorf und Beyer eigentlich, selbstverständlich davon ausgehen zu können, jeder einzelne Teilnehmer dieses historischen Wortwechsels sei für den Nicht-Dabeigewesenen problemlos identifizierbar? Wem nützt dieses ewige... Sie wissen schon?
Bedeutungsschwanger, doch ohne Bedeutung
Die Schauspieler, die ihre eigenen Kollegen spielen, geben ihr Äußerstes. Die Frauen weinen viel, die Männer politisieren. Hermann Lause ist großartig als SED-Bonze, und Peter Lohmeyer arbeitet sich sehr beachtlich an seinem Vorbild Manne Krug ab. Alle agieren bedeutungsschwanger, ohne daß die angestrebte Bedeutung je entstehen könnte. Emotionale Motive für die Ausreise oder das Bleiben, für den Spitzeldienst oder die Wahrhaftigkeit bleiben unerzählt. Was das wohl bedeutet: ein halbes Jahr keine Engagements? Eine Unperson sein? Von einem Tag auf den anderen den Staat wechseln?
Man hätte einen guten Film aus Krugs Buch machen können. Oder eine interessante Dokumentation. Und Heinrich Breloer hätte sicher ein brillantes Dokudrama draus gemacht. Irgend jemand hätte einfach neugierig sein müssen. Aber Plenzdorf und Beyer stellen keine Fragen, sie waren ja dabei. Sie stellen sich auch nicht ihrer eigenen Beteiligung. Verschanzen sich vielmehr hinter den Worten. Vom Tonband, aus den Stasiakten, aus Krugs Tagebuch. Es ist verständlich, daß sich die beiden zierten, ihr eigenes Schicksal zu inszenieren. Verständlich, aber nicht klug. Denn: Wenn doch nur die Worte zählen, warum dann einen Film draus machen? Klaudia Brunst
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen