■ Kommentar: Serras Warnung
Erneut ist das Holocaust-Mahnmal in Frage gestellt, auch wenn die Beteiligten nicht müde werden, das Gegenteil zu behaupten. Sein Rückzug von der Arbeit an dem allgemein favorisierten Mahnmalsentwurf habe „persönliche Gründe“, sagt der amerikanische Bildhauer Richard Serra, bis zuletzt sei die Kooperation mit dem Architekten Peter Eisenman in freundschaftlichem Dialog verlaufen. Das mag ja durchaus stimmen. Andererseits ist es ein Wesenszug von Diplomatie, nicht das auszusprechen, was einen wirklich bewegt. Der reine Tatbestand deutet jedenfalls in eine ganz andere Richtung. Noch vor wenigen Monaten war Serra partout entschlossen, seinen und Eisenmans Entwurf zu realisieren. Und jetzt soll er es sich einfach anders überlegt haben? Keine Lust mehr, keinen Bock?
Unwahrscheinlich. Plausibler dürfte es sein, die Erklärung für Serras Entscheidung woanders zu suchen. Immerhin ist einiges passiert, seitdem er und Eisenman ihren Entwurf präsentiert haben. Es fing damit an, daß der Kanzler nach einer Unterredung mit den beiden sich zum Kunstgutachter aufschwang und Änderungswünsche anmeldete. Zu den Versuchen der Einflußnahme gesellte sich grundsätzliche Kritik, vorgetragen nicht nur von den üblichen Verdächtigen der intellektuellen Bedenkenträgerschaft, sondern auch vom Regierenden Bügermeister Eberhard Diepgen, mithin einem der Auslober des Wettbewerbs. Anlaß, die Geduld zu verlieren, das eigene Werk von fremden Händen zerstört zu sehen, hat es in den letzten Monaten also reichlich gegeben. Serra hat sich in der Beziehung im Lauf seiner Karriere zweifellos ein breites Kreuz zugelegt. Und doch war es nicht breit genug. Die politisch Verantwortlichen sollten dies richtig verstehen – als Warnung. Ulrich Clewing
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