: Selber erfinden ist Quatsch
■ Von „Gott“ bis zum Puff „Roxys“: 400 Kinder tummeln sich auf Bremens zehntem Kinderkunstsommer und fälschen dabei gnadenlos und kreativ die große Kunst
Mimesis oder Creatio ex nihilo? Der Streit ist so alt, wie sein Gegenstand, die Kunst. Wie findet und erfindet der Mensch, der Künstler ist? Durch Nachahmung, am besten der Natur, natürlich. In Gottes Namen, nein! Durch einen Geistesblitz, der den Schöpfer im erhabenen Moment des „Now“ (Wow!) durchzuckt. Ach, wirklich?
Klaus Mollenhauer, sagt Andrea Siamis vom Bremer Verein Quartier, Klaus Mollenhauer habe ihnen in der Vorbereitung des Kinderkunstsommers '98 beigebracht, daß zumindest bei Kindern und Nichtkünstlern das alte '68er Dogma Nun-mach'-mal-aus-Dir-selber sich als Quatsch erwiesen habe. Kinder lernen durch Nachahmung. Doch muß es nicht gleich Mama Natur sein, der man sich im Schöpfungstriebe hingibt. Kinder malen nämlich nicht Wirklichkeit sondern Bilder ab. Und das Schöne, wenn nicht gar Erhabene ist: Es entstehen dabei Werke, die mit ihrem Vorbild kaum noch Ähnlichkeiten aufweisen.
So kann man das sagen und sehen. Der Kinderkunstsommer nämlich hat schon begonnen – mit knapp 400 Bremer Kindern aus 25 Bremer Kinder-, Spiel- und Kulturhäusern. Die wuseln zur Zeit durch Bremens Hochkultur, durch die Neue Weserburg und die neue Kunsthalle und das alte Überseemuseum und kupfern ab, was die Alten und Neuen Meister ihnen so vorgemacht haben.
„Gott“ zum Beispiel. Gott ist eine Schöpfung zweier junger Meister aus der Schweiz – ein riesiger unförmiger Styropor-Stern – und er weilt derzeit im Bahnhof Neustadt, in der Galerie Pro Arte. Viel könnte man über Gott denken und sagen. Doch die zehn Kinder aus dem Kulturladen Pusdorf taten das nicht. Sie machten sich statt dessen ein Bild von ihm. Und siehe da, aus dem undefinierbaren Gebilde bei Pro Arte wurden in den Zeichnungen der Kinder wiedererkennbare Formen, Pyramiden, nicht öd und leer, sondern mit menschlichem Leben gefüllt. So konservativ sind Kinder nun mal; da kann man nichts gegen machen.
Ihre Pyramide haben Tanja und Vincent, Katharina, Lena, ihre beiden Lehrer Ulrike Wolf und Karin Puck und wie sie alle heißen nun im Haus am Deich mit Pappkartons aufgebaut und am Samstag in einer Vernissage der Öffentlichkeit zwecks Kunstlust übergeben. Eine Pyramide, unübersehbar. Aber wie es darin rappelt und zappelt! Viele unübersichtliche Gänge und Nischen haben sich die Kinder in ihrem Werk gebaut, jeder nennt darin ein Eckchen sein eigen, nur sie selber sind nicht mehr sie selber, wenn man ihnen darinnen unter den seltenen Namen Diskus-, oder Knorpelfisch, CZ10 oder Ann-Kathrin über den Weg läuft. Sollte das Gott bewirkt haben? Sollte 'er' es gar sein? Seltsame Wege geht das kreative Vermögen, das sich Nachahmung nennt.
Gott ist nur eines von vielen Kinder-Werken, die in diesem Sommer unter dem Motto „Bilder von Bildern“ entstehen. Ein Jugend-Werk ist auch dabei. Die mimetische Aneignung der Puff-Szene „Roxys“ von Edward Kienholz, die in der Neuen Weserburg steht – in ihrer formalen Übertragung aufs Lehrerzimmer des Schulzentrums Oberviehland. Einen kaffeemaschinenbrodelnden Raum stellt sich die Künstlerin Uschi Nickel-Funck für ihre Arbeit mit den SchülerInnen vor, ein Ort, in dem lauter Papiere rumfliegen und Lehrertypen rumsitzen: der Fachidiot, die Engagierte, der Überalterte. Ob es hingegen auch eine metaphorische Übertragung der einen Szene auf die andere gibt, das will die 43jährige Kunstpädagogin allein der Kreativität der SchülerInnen überlassen. ritz
Noch können Kinder in den Kunstsommer einsteigen. Unter Tel. 424631 gibt Andrea Siamis vom Verein Quartier gern weitere Auskünfte.
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