piwik no script img

Tote Krabben in Weißbrotsärgen Von Karl Wegmann

Unser Supermarkt ist neuerdings ein Land des Lächelns. Na ja, nicht ganz, eigentlich herrscht immer noch König Griesgram hinter den Verkaufstheken – aber das Territorium um den Kassenbereich herum hat er verloren. Die Kassierer und Kassiererinnen begrüßen jetzt jeden Kunden mit einem ausgesucht freundlichen „Hallo, wie geht's Ihnen heute?“, und dabei lächeln sie und erledigen ihren Job. Nur bei den Älteren wirkt das einstudiert und gezwungen, die Jungen kriegen es dagegen ziemlich glaubwürdig hin. Freundliche Lohnabhängige im Dienstleistungsbereich, und das in Deutschland – ein Novum. Wir Kunden sind gewohnt, langsam und widerwillig bedient zu werden und nicht flott und zuvorkommend. Deshalb fangen wir auch jede Bestellung mit einem Kotau an. „Entschuldigung, könnte ich wohl ein Bier haben?“ oder „Entschuldigung, bedienen Sie hier?“ Nutzt meistens überhaupt nichts. „Kollege kommt gleich“ oder „Sehen sie nicht, daß ich gerade beschäftigt bin“, sind Standardantworten. Die deutschen Verkäufer und Verkäuferinnen wollen einfach keine sein.

Die besten Verkaufsverweigerer lungern in den Fischbuden der Firma „Nordsee“ herum. Da kommt es schon mal vor, daß ein einsamer Kunde vor der Theke steht und geduldig wartet, während dahinter das gesamte Bedienungspersonal in eine angeregte Unterhaltung über die Vorteile von Stützstrümpfen vertieft ist. Irgendwann siegt der Hunger, und zaghaft wird angefragt: „Entschuldigung, könnte ich vielleicht die Maischolle mit...“ Weiter kommt er nicht, denn er wird sogleich zurechtgestutzt: „Moment bitte, sehen Sie nicht, daß wir uns gerade unterhalten!“ Gleich nebenan liegt die Ami-Futterkrippe mit dem schottischen Namen. Sie verkaufen an diesem Tag einen Fischmäc mehr. Auch der Straßenverkauf bei „Nordsee“ ist ganz auf Abwehr eingestellt. Da lachen einen die toten Krabben in ihren Weißbrotsärgen an, daß es eine Freude ist. Man kann gar nicht anders, man versucht zu ordern. „Entschuldigung, ich hätte gerne ein Krabbenbrötchen.“ Der Verkäufer blickt nicht einmal auf, sondern schnauzt nur: „Sehen Sie nicht, daß ich gerade beschäftigt bin!“ Er stopft Zwiebelringe in ein Matjes-Sandwich. Aber jetzt ist er damit fertig, also noch mal: „Krabbenbrötchen, bitte!“ Ein Fehler. Der Verkäufer wird richtig kiebig. „Nicht so ungeduldig, ja, ich hab' hier auch noch andere Sachen zu tun!“ Er nimmt sich einen neuen Hering vor. Was will man machen? Man versucht, sein Geld unter die Leute zu bringen, das Bruttosozialprodukt zu steigern, die Wirtschaft anzukurbeln, aber ein Fischverkäufer ist dagegen. Vielleicht schulen sie bei „Nordsee“ ihr Personal ja in diesen Dingen. „Lektion eins: Der Kunde ist der Feind. Wenn er zum zweiten Mal kommt, haben Sie versagt.“ Dann trainieren sie Teilnahmslosigkeit: „Um zu lernen, welcher Gesichtsausdruck besonders gelangweilt wirkt, schauen Sie einfach einer Rotbarsch-Leiche in die Augen. Üben Sie diesen Ausdruck vor dem Spiegel.“

Einen Vorteil hat die unfreundliche Behäbigkeit der Fischverkäufer aber doch. Kommt man zum Beispiel zu einer Verabredung zwei, drei Stunden zu spät, entschuldigt man sich mit: „Ich war bei ,Nordsee‘ ein Fischbrötchen essen.“ Das wird sofort anstandslos akzeptiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen