■ Im Kosovo droht eine Eskalation der Gewalt. Was kann der Westen tun, um ein Desaster wie in Bosnien zu verhindern?: Ein UNO-Protektorat für Kososvo
Wäre es nicht das beste, Bosnien jetzt unter ein UNO-Protektorat zu stellen und in diesem Rahmen dann eine politische Lösung unter den Konfliktparteien auszuhandeln? Wer so fragte, erntete von David Owen nur ein nachsichtig-spöttisches Lächeln: „Ein UNO-Protektorat ist unrealistisch, weil die internationale Gemeinschaft das hierzu erforderliche Engagement nicht aufbringt, und zudem überflüssig. Sie werden sehen, in spätestens drei Monaten haben wir einen Friedensvertrag.“
Das war im Oktober 1992 auf der ersten Genfer Pressekonferenz des gerade frisch ernannten EU- Vermittlers für Bosnien und seines UNO-Kollegen Cyrus Vance. Der Friedensvertrag für Bosnien kam zustande: über drei Jahre später, nach fast 300.000 Toten, über drei Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen sowie Zerstörungen von Milliardenwerten. Das Bosnien- Engagement der „internationalen Gemeinschaft“ (Entsendung Zehntausender UNO- und Nato- Truppen, Milliardenzahlungen für die Versorgung von Flüchtlingen sowie Wiederaufbauhilfe für die zerstörten Gebiete etc.) übersteigt inzwischen um ein Vielfaches den Einsatz und die Kosten, die zur Errichtung eines UNO-Protektorats im Herbst 92 erforderlich gewesen wären.
Aber auch Pazifisten und Friedensbewegung lehnten den „Protektorats“-Vorschlag für Bosnien wegen seiner militärischen Komponente damals ab. Gewiß hatten Friedens-und Menschenrechtsgruppen schon lange vor Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen in Ex-Jugoslawien Mitte 1991 vor der absehbaren Eskalation gewarnt. Sie hatten von den westlichen Regierungen einen aktiven Einsatz nichtmilitärischer Instrumente zur Deeskalation und politischen Lösung gefordert. Umsonst. Alle Appelle und Vorschläge verhallten ungehört.
Im Kosovo ist die Lage ähnlich – spätestens seit der Abschaffung des Autonomiestatus im Jahre 1989 durch Milošević. Deshalb ist es nichts als billige, falsche Polemik, der „pazifistischen Fraktion, die stets auf präventive Diplomatie, passiven Widerstand und Wirtschaftssanktionen vertraut“, angesichts der akuten Eskalation des Kosovo-Konflikts vorzuhalten, „auch von ihr“ sei „wenig zu hören gewesen“ (so der taz-Kommentar vom 5. Juni).
Ein Protektorat meint die zeitlich begrenzte Stationierung von UNO-Truppen in einem Land mit klar definierten Zielen, die allen Konfliktparteien vorher klar signalisiert werden: Unterbindung bewaffneter Auseinandersetzungen; Übernahme bestimmter hoheitlicher Aufgaben (Sicherheitskräfte, Polizei, zentrale Verwaltungsfunktionen). In diesem befriedeten Rahmen kann dann eine politische Lösung vermittelt werden.
Im Kosovo böte nur der Einsatz dieser gezielten Mischung aus militärischen, politischen und diplomatischen Instrumenten die Aussicht, daß der Konflikt dort nicht weiter eskaliert. Was in Bosnien 1992 bis 95 geschah, könnte sich hier wiederholen, möglicherweise sogar mit noch schlimmeren Folgen.
Die Maßnahmen aber, die derzeit – genauso wie in der Frühphase des Bosnien-Konflikts – von den fast immer gleichen Akteuren in wechselnden Zusammenhängen (Nato, EU, Balkan-Kontaktgruppe, UNO-Sicherheitsrat) diskutiert werden, sind untauglich, um die bewaffneten Auseinandersetzungen zu deeskalieren, geschweige um den grundlegenden Konflikt politisch zu lösen. Denn diese Maßnahmen sind halbherzig und in sich widersprüchlich. Zum Teil dienen sie anderen als den öffentlich erklärten Absichten und werden wegen des Vetos wichtiger Akteure (Rußland) wahrscheinlich ohnehin nicht beschlossen. Allerdings führt bereits ihre öffentliche Erörterung – zumal wenn sie unter reißerischen und irreführenden Überschriften wie „Militärische Intervention im Kosovo-Konflikt“ oder „NATO zeigt Flagge am Balkan“ annonciert werden – zu falschen Wahrnehmungen und Erwartungen bei den Konfliktparteien. Daher wirken sie – ähnlich wie in Bosnien – eher eskalierend als beruhigend.
Das von der Nato bisher am konkretesten diskutierte Szenario ist die Stationierung von Truppen an den Außengrenzen Kosovos. Dies würde hauptsächlich zwei Zielen dienen: die Flüchtlingsströme in die Nachbarstaaten Albanien und Makedonien zu kanalisieren und aus Westeuropa fernzuhalten – und Waffennachschub und den Zustrom neuer Kämpfer für die „Kosovo-Befreiungsarmee“ zu unterbinden. Diese Nato- Aktion würde daher nicht nur keinerlei Druck auf Milošević ausüben, den Vertreibungskrieg in Nordwestkosovo zu stoppen – nein, sie würde ihm sein Geschäft sogar noch erleichtern.
Auch die bei der Nato diskutierte „Stärkung der Streitkräfte Albaniens und Makedoniens“, beispielweise durch gemeinsame Manöver, hätte keinen Einfluß auf das Verhalten der serbischen Streitkräfte und Polizei im Kosovo. Eine Intervention dieser Streitkräfte im Kosovo zugunsten der albanischen Mehrheitsbevölkerung wäre die Garantie für den Flächenbrand auf dem ganzen Balkan. Und dies kann ja wohl kein ernsthaftes Kalkül der Nato sein.
Luftangriffe auf serbische Militärziele im Kosovo, die bislang hinter verschlossenen Türen der Nato-Zentrale und in einigen Hauptstädten des Bündnisses Befürworter finden, wären schließlich vollkommen unbrauchbar, um den Konflikt einzuhegen und zu lösen. Zudem dürfte diese Aktion die größten Opfer unter der Zivilbevölkerung des Kosovo fordern. Hinzu kommt, daß diese militärische Intervention der Nato mit Sicherheit auf das Veto Rußlands im UNO-Sicherheitsrat stoßen würde. Dann könnte sie – wenn überhaupt – nur ohne Mandat der UNO stattfinden. Auch für die anderen beiden anderen Szenarien ist das Veto aus Moskau wahrscheinlich.
Ein Protektorat der UNO hingegen hätte eine relativ große Chance, die Zustimmung oder sogar aktive Beteiligung Rußlands zu finden. Natürlich berührt auch ein Protektorat über Kosovo die „nationale Souveränität“ Restjugoslawiens und müßte notfalls ohne Zustimmung Belgrads durchgesetzt werden. Der Verweis auf die Buchstaben des Völkerrechts – egal ob aus Moskau oder aus Nato-Hauptstädten – ist freilich angesichts früherer Interventionen beider Seiten in anderen „internen Konflikten“ höchst unglaubwürdig – und auch prinzipiell nicht überzeugend. Denn die schweren Menschenrechtsverletzungen im Kosovo rechtfertigen einen Eingriff. Dies um so mehr, als der Konflikt den Frieden in der gesamten Balkanregion bedroht. Andreas Zumach
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