■ Wahrheit-Reporter vor Ort: Jugendmesse „You 98“ in der Dortmunder Westfalenhalle: Voll kaufdruckfrei
Igitt – Sozialismus? Das ist doch diese Geschichte, wo man auf neue Klamotten zig Jahre warten muß. Wenn man überhaupt mal welche kriegt! Da soll sich Sahra Wagenknecht nicht wundern, daß der Nachwuchs nix von ihr wissen will. Die Dortmunder „Jungen GenossInnen bei der PDS“ hatten die Bundestagskandidatin an ihren Stand geholt zur Eröffnung der „You 98“.
Kleiner Trost: Schirmherrin Claudia Nolte, kommunistischer Umtriebigkeit eher unverdächtig, hatte auch kein Glück – weithin ungehört verhallte das Angebot der Familienministerin an Bürger ab 40, in Begleitung eines Teenagers die Jugendmesse gratis zu besuchen. Gut so – für Noltes „Dialog der Generationen“ ist es in den Westfalenhallen eh zu laut. Denn um sich in Sachen „outfit – sport – lifestyle“ auf dem laufenden, ach Unsinn: auf dem rasenden zu halten, braucht's unter anderem Musik aus Legionen von Lautsprecherboxen. Und wo aus Versehen keine Box steht, da ist was Kreatives, Sportives, Aktives im Gange. „Stillstand ist der Tod“ – dachte Herbert Grönemeyer an die „You“? Die hat einen künstlichen Strand zum Volleyballspielen und künstlichen Schnee auf einem künstlichen Abhang zum Draufausrutschen – auf ihren Einsatz warten alldieweil Mitglieder der Johanniterunfallhilfe. Dann doch lieber einen Malteser, bitte schön!
Ha, von wegen. „2,5 Millionen Deutsche sind alkoholkrank“, mahnt die Lifestyle-renitente AOK. Angehende Besserwisser dürfen Zettel vollschreiben, auf denen der Satz vorgegeben ist: „Ich hab' was gegen Drogen, weil...“ - „...man früher stirbt“, hat einer ergänzt. Richtig – vorausgesetzt, man schafft es, nicht noch viel, viel früher von einem Inline- Skater überrollt zu werden. Denn was dem Vati im Daimler die linke Spur auf der Autobahn, ist manchem Jungmenschen auf Rollen die mit Klebeband markierte Spur auf dem „You“-Gelände. Obacht – bitte nicht kollidieren mit dem Tee-Mobil der „jugend für christus“ (und gegen Großschreibung). Oder mit dem T-Mobil- Riesen-Handy (aufblasbar) für drahtloses Kommunizieren.
Tjaja, Kommunikation: „Welcome to yellow world“ – wer die Jungs und Mädels begeistern will, muß des Englischen mächtig sein. Zitierte Aufforderung stammt vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen („Berufsallergien? Hauptsache, die Arbeit juckt dich nicht!“), „Join the Fa World Cup“ hat dagegen irgendwas mit Seife zu tun. Und solange sich der Deutsche Alpenverein nicht in German Alps Association umbenennt (und seine Kletterwand in Climbing Wall), sollte er sich um seinen Fortbestand beizeiten Sorgen machen. Heavy, das!
Allerlei lustige Gesellen spazieren in den Ausstellungs- bzw. Aktionshallen umher – zum Beispiel Männer, die als Kondom kostümiert sind; verhüte Schirmherrin Nolte, daß da unkeusche Gedanken aufkommen! Derart anschaulich und begreifbar wird die Damenwelt nicht über die intimsten Dinge des Lebens informiert – weit und breit weder tanzende Spiralen noch rappende Antibabypillen. Hier muß nachgebessert werden, liebe Veranstalter!
Und da wir schon beim Mäkeln sind: An die Jugend ergeht an dieser Stelle der Appell, gefälligst großzügiger das Portemonnaie (Moneten, Kröten, Kohle) zu zücken. Die „You“-Typen sind easy drauf und machen eine „event- orientierte Marketingmesse“, jedoch „in kaufdruckfreier Atmosphäre“ – und prompt kauft ihr Schnösel nichts, schleppt aber tonnenweise Poster und Aufkleber für lau ab. Mehr als 40 bis 70 Mark tragen Jugendliche bei derartigen Veranstaltungen nicht bei sich, hat eine Untersuchung ergeben. Daher ein wohlfeiler Rat: Deckt euch ein, solange die Ladenregale gefüllt sind und keine Warteschlangen davorstehen! Fragt mal die Frau Wagenknecht. Andreas Milk
„You 98“, Westfalenhalle Dortmund, 11. bis 14. Juni, 10 bis 19 Uhr
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