■ Mit Lauschangriffen auf du und du: Abhörsichere Tapete
Marburg (taz) – Für ein Familienunternehmen in fünfter Generation ist die „Marburger Tapetenfabrik“ im mittelhessischen Kirchhain ganz schön fix. Der Große Lauschangriff war noch nicht endgültig vermittelt und abgestimmt, da machten sich die Tapetenmanager öffentlich Sorgen wie die eifrigsten grünen Bürgerrechtler. Aber das gehörte zum Geschäft. Denn das Gesetzesvorhaben lag wirtschaftlich durchaus im Interesse der vierhundert Mitarbeiter.
Vor gut einem Jahr hatte der Tapetenhersteller mit Niederlassungen in England, Italien, Griechenland, Brasilien und den USA seine „EMV-Tapete“ (EMV = Elektromagnetische Verträglichkeit) auf den Markt gebracht. Für 16,40 Mark pro Quadratmeter soll der TÜV- geprüfte „Multifunktionsbelag aus flexiblem Faservlies, elektrisch leitfähig bedruckt“ von außen kommenden, gesundheitsschädlichen Elektrosmog schlucken.
Das Material besteht im wesentlichen aus Kohlenstoff, ist atmungsaktiv und frei von PVC und Metall. Die Strahlung fließt aus den per Randstreifen miteinander verbundenen Tapetenbahnen über die Erdung der Steckdose ab. Lediglich gegen die elektromagnetische Abstrahlung der Stereoanlage im Wohnzimmer ist die Tapete machtlos.
Als die Auseinandersetzungen über den Großen Lauschangriff heftiger wurden, schalteten die Kirchhainer Tapetenmacher um: „Tapete schützt vor Lauschangriff“, heißt es jetzt. Im EMV-tapezierten Raum dürfen Journalisten sich darüber wundern, daß weder ihr Handy noch die eigens installierte Profiwanze mit Extrareichweite funktionieren.
Klaus Wunderlich, früher TÜV-Prüfer der Tapete und inzwischen Produktmanager bei der „Marburger Tapetenfabrik“, ist beeindruckt: „Der Lauschangriff hat uns überrollt. Das Interesse ist erschreckend, wir können der Nachfrage im In- und Ausland kaum Herr werden.“ Und doziert über Datenklau im Äther, 100fache Dämpfung, Industriespionage und eine halbe Million Wanzen bundesweit.
Baubiologen attestieren dem Wandbehang durchaus Abschirmwirkung – bis auf die niederfrequenten magnetischen Strahlungen. Detekteien sprechen von „ziemlich weitgehendem“ Schutz. Nur die BKA- Pressestelle verweigert jede Stellungnahme.
Für ein Fernsehteam ließen sich die findigen Tapetenproduzenten etwas ganz besonderes einfallen: Ein EMV-tapeziertes Auto fuhr im Firmenhof an einem eigens installierten Radargerät vorbei. Unerkannt – die Kohlenstofftarnkappe schluckte die Strahlung. Richard Laufner
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