: Guckt Iggy Pop lieber Fußball?
■ Als VIPs auf dem Festival in Scheeßel: Blohm & Voss on MTV-Sonne, Kicken, Rockmusik
Rund 30.000 Menschen campierten am Wochenende rund um die Rennbahn am Eichenring zu Scheeßel, um beim Hurricane-Festival das letzte Aufgebot alternativer Rock-Musik zu feiern. Zwischen den, von erfahrenen Festival-Besuchern auf ca. 25.000 geschätzten, Iglu-Zelten versuchten sich auch Dr. Blohm und der überraschend aus dem Gefängnis entlassene Herr Voss (vgl. taz vom 20. Juni) am Samstag mittag einen Weg zum Eingang zu bahnen.
Herr Voss: Meine Güte, die arme Frau an der Bändchenausgabe ist in Tränen aufgelöst! Was für ein Ansturm.
Dr. Blohm: Auf Open Air-Festivals zieht es wohl wirklich alles, was eine Kühltasche sein Eigen nennt. Na, vielen Dank, „Chumbawamba“, gleich brüllt noch jemand „ausziehen, ausziehen“! Kommen Sie, suchen wir die Bändchenausgabe für die ganz besonderen Gäste. Ich kann es immer noch nicht glauben, daß Sie diese VIP-Wimpel bei MTV gewonnen haben. Wahrscheinlich müßen wir uns nicht mal – wie sonst – mit den anderen Kollegen von der Tagespresse in eine Reihe stellen.
Voss: Warten Sie ab, bis wir in der VIP-Lounge sind. Sehen Sie es als ein Dankeschön, Dr. Blohm. Sie haben mich so oft auf Ihrer Gästeliste mitgenommen, wenn Sie mal wieder Ihre karge Rente aufbessern mußten und nicht allein auf eins dieser ganzen Konzerte gehen wollten.
Blohm: Hören Sie mal ...
Voss: Schon gut, schon gut. Sie haben das mit den Pressekarten ja nicht hinbekommen!
(eine Stunde später)
Blohm: Die Herren vom „Syker Tageblatt“ und vom „Verdener Anzeiger“ sind ganz nette Leute.
Voss: Haben Sie eigentlich bemerkt, daß der Drummer von „Rammstein“ die ganze Zeit hinter Ihnen stand, während Sie den Kollegen Ihren Vortrag gehalten haben?
Blohm: Der mußte sich auch ganz hinten anstellen? Trotz der glatzköpfigen Ossi-Security?
Voss: Yep!
Blohm: Das macht die Warterei wieder wett. Was hier wieder für Buden rumstehen! Tss, schlimmer als auf dem Freimarkt. Glasperlen und bunte Tücher! Und diese Aufkleber-Motive werden sich wohl nie ändern. Kommen Sie, wir suchen diese VIP-Lounge. Ich bin noch nicht in der Stimmung für Musik.
Voss: Hoffentlich zeigen sie dort das Spiel?
Blohm: Welches Spiel?
(etwas später)
Blohm: Sie wollen hier jetzt nicht allen Ernstes weiter Fußball gucken?
Voss: Warum nicht? Ich warte auf Iggy Pop! Da ist der schreckliche Sven von „Fischmob“. Der rennt hier auch nur gelangweilt herum.
Blohm: Ansonsten hocken hier auch nur die Angestellten der Brauerei, die das Festival sponsort. Und der Herr vom Weserlabel.
Voss: Und der guckt auch Fußball! Hier ist der kühlste Platz des Festivals und es gibt Freigetränke. Man kann den Leuten hinter der Bühne bei der Arbeit zusehen ...
Blohm: Wie Sie wollen. Ich sehe mir ein paar Bands an. Und, Voss, Sie wissen ja, was man über das Bier des Sponsors sagt?! Und trinken Sie nicht wieder alles durcheinander.
(Sonntag abend zwischen Bungeeturm und Dosenbergen)
Blohm: Voss, da sind Sie ja.
Voss: Na, wo haben Sie sich denn versteckt, nachdem wir uns verloren haben?
Blohm: Oh, zwei junge Leute haben mich mit dem Auto mitgenommen. So konnte ich in meinem eigenen Bett schlafen und bin heute morgen mit der Bahn gefahren. Und, wie ist es Ihnen auf dem Campingplatz ergangen? Lassen Sie mich raten: Betrunkene Gymnasiasten, die bis zum Morgen rumkrakelen und in fremde Zelte fallen!
Voss: Oh, nein, ich habe in der Nähe eines Rockerlagers genächtigt. Da herrschte eiserne Disziplin, nachdem der Präsi sich in seine Bettwurst gerollt hatte. Die meisten waren von der vielen Sonne und Tito Tarantula völlig ausgelaugt.
Blohm: Ich fand auch, daß nach Björk nichts mehr hätte kommen sollen.
Voss: Die Masse war wie in Trance danach.
Blohm: Phantastisch, nicht wahr?
Voss: Iggy Pop war ein echter Störenfried dagegen. Der stand bei der Schlange zum Prominenten-Klo übrigens hinter mir.
Blohm: Ich fand es etwas albern von ihm, ein paar junge Leute auf die Bühne zu ziehen, „tear this whole shit down“ zu brüllen und die Menschen dann von der Security zum Ausgang geleiten zu lassen.
Voss: Es ist Iggy Pop. Ein Mensch, der auf die selbe Toilette geht wie ich.
Blohm: Nun schnappen Sie nicht über, mein lieber Freund. „Tocotronic“ haben mich heute übrigens mal überzeugt. Eine wichtige Band, die eine Menge Zusammenhänge mit ihrer Performance zusammenhält. Und „Two“ waren eine echte Überraschung.
Voss: Die sahen aus wie von der „Rocky Horror Picture Show“!
Blohm: „Sonic Youth“ waren daneben nicht gerade mit viel Überzeugungskraft gesegnet.
Voss: „Pulp“ waren schön, die paßten gut zum Wetter.
Blohm: Und „Garbage“ fangen gerade an, mir auf die Nerven zu gehen.
Voss: Im VIP-Zelt läuft USA-Iran.
Blohm: Voss, ich hätte nie gedacht, daß ich mir lieber ein Fußballspiel als eine Band ansehe, aber in diesem Falle mache ich eine Ausnahme. Ich bin übrigens gespannt, wie die 90er nach diesem Aufgebot noch weitergehen sollen. Rocktechnisch, meine ich.
Voss: Wieso? Die kommen halt alle nächstes Jahr wieder. Die „Guano Apes“ sind dann Headliner und im kleinen Zelt spielen „... But Alive“.
(Montag, in der Frühe am Sielwalleck)
Voss: Sie sind mir ein richtiger Tramperkönig, Blohm. Ich habe Ihre Worte noch in meinen Ohren ...
Blohm: Jetzt hören Sie schon damit auf. Wären Sie nicht so lange auf und ab gesprungen, wie ein Besinnungsloser „Beastie Boys, Beastie Boys“ brüllend, hätten wir den Zug erwischt. Ihnen stand ja auch nicht gerade der Sinn nach einer weiteren Nacht im Rockerlager. Nach dem Unentschieden für Deutschland, meine ich.
Voss: Warum kontrolliert die Polizei eigentlich gerade den Wagen mit der Iran-Fahne? Die Jungs haben nicht mal gehupt oder aus dem Fenster gebrüllt.
Blohm: Haben Sie nicht von den neuen Gesetzen gehört, die es den Fans ausländischer Teams verbieten, in der Öffentlichkeit ihre Fahnen zu zeigen?
Voss: Was bitte? Was sagen Sie da?
Blohm: Noch war es nur Spaß, Voss.
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