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Das große Tier – erst einmal gestoppt

■ Neustädter Jugend- und Kindergruppen sangen ein Umwelt-Stück

Ist Kultur, wenn hunderte auf ihren Stühlen vor sich hindämmernd zusehen, was einzelne, olympiareif trainiert, vorne als ihren Tanz aufführen? Die volle Bühne in der Habenhauser Kirche am Samstag Nachmittag zeigte, daß das nicht so sein muß. Über 30 Kinder hatte die Kantoristin Carola Mühlenweg aus ihren diversen Spatzen-, Kinder- und Jugendchören zusammengebracht, und ein mit 13 Instrumentalisten besetzes Spontan-Orchester dazu. Gegeben wurde „Eine phantastische Geschichte, die uns alle angeht: Wer stoppt das große Tier?“

Der märchenhaft gruselige Titel ist schnell enttarnt: Das große Tier, überzeugend böse gespielt von dem Jugendlichen Nils Ohldebusch, ist das zynisch Böse, das Raffke-Prinzip, das an der Umweltzerstörung geradezu diabolische Lust empfindet, seine kleinen Zerstörungs-“Kobolde“ herumkommandiert und nur eines fürchtet: die Wahrheit. Gebannt wird das Tier, wie kann es anders sein, von drei hellblau leuchtenden Umweltengeln ... Aber wie im richtigen Theater kam es auch auf der Habenhauser Bühne auf das „WIE“ an. Seit Anfang des Jahres proben die Gruppen aus der Neustädter St.-Pauli-Gemeinde und der St.-Johannis-Gemeinde das Stück. In den letzten Wochen mußten die Elemente in gemeinsamen Proben zusammengeführt werden. Faszinierend klar sangen mehrere der 12 oder 15jährigen ihre Solo-Partien in das Kirchenschiff hinein, das „große Tier“ Nils Ohldebusch dabei in seiner ersten Gesangs-Rolle. Streng dirigiert klappte bei dem Kinderchor jeder Einsatz. Und das kleine Orchester spielte die schwungvollen Songs von Rolf Schweizer so, als sei es nicht ad hoc zusammengetrommelt worden.

Auch die Requisiten waren improvisiert: An zwei Tagen hatten Konfirmanden auf dem Schulhof und am Weserstadion Blech-Dosen für eine kleine Müllhalde gesammelt. Ein Helm war offenkundig von der Bremer Lagerhaus Gesellschaft gespendet worden, die nicht geahnt zu haben schien, daß der „Bodenkiller-Kobold“ damit „alles plattmachen“ wollte. Einige Schwierigkeiten hatten die Jugendlichen mit den vielen Fremdwörtern: Es traten nicht nur harmlose Helfer des großen Tieres wie der „Stockstoffkobold“ auf, sondern auch Zungenbrecher wie „Phosphatkobold“ oder der „Dünnsäurekobold“ waren auszusprechen. Unter die Umweltengel hatte sich als „Bengel“ Nicole Appel, kaum einen Meter hoch, gemischt, die frech von der Leber weg und mit perfektem Sprachwitz die komplizierten Worte verballhornte. Phosphatkobold? „Was ist denn an einer Flußfahrt dran, daß man sie in die Mangel nehmen müßte?“ fragte der kleine Wicht. Sie wollte das große Tier auf den Sperrmüll schmeißen, „denn das muß endlich einge-sperr-t werden“.

Wer in diesen Tagen von Kindern „links der Weser“ aggressiv auf seinen CO-Ausstoß oder andere Umwelt-Sünden angesprochen wird, der kann davon ausgehen: Hier sind die Akteure aus „Wer stoppt das große Tier?“ dabei, die Welt zu verbessern. Als „Zugabezettel“ verteilten sie dem überraschten Publikum ein Liedblatt zum Mitsingen und so summten Väter und Mütter brav mit: „Wir gehen jetzt nach Hause, und denken lange dran, die Lehr' von der Geschichte: Daß man was ändern kann!“

Trotzdem war das Publikum an Ende hochzufrieden mit den künstlerischen Talenten auf der Bühne und die Kinder und Jugendlichen haben neben vielen komplizierten Worten auch gelernt, daß Kultur erst anstrengend zu erlernen ist und am Ende dann, wenn sie gelingt, Spaß machen kann: Nach dem Theater gab es ein Grillfest und für den Chor eine Bratwurst gratis.

K.W.

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