: Mehr weiße Mäuse
Ab heute gibt's in Hamburg eine Mark mehr Stütze. Wie man die intelligent anlegt, verrät ■ Heike Dierbach
Bei „Sozialhilfeempfängers“ wird heute gefeiert. Die haben's nämlich jetzt: Eine Mark mehr Stütze im Monat hat unser rot-grüner Senat springen lassen. Die bisherigen mickrigen 539 Mark für einen Haushaltsvorstand erhöhen sich auf satte 540 Mark. Volljährige, Jugendliche, Kinder über sieben – sie alle können jetzt in Hamburg eine Mark mehr verprassen.
Und was man damit alles machen kann! Endlich dürfen auch SozialhilfeempfängerInnen mal wieder so richtig shoppen gehen – zum Beispiel im Kiosk um die Ecke. Bei dem Angebot fällt die Auswahl schwer: Sollen es jetzt zwei Kinder-Milchschnitten zu je 50 Pfennig sein? Oder doch lieber ein Spice-Girls-Lolly für 60 und dazu noch vier weiße Mäuse für je zehn Pfennig? Kluge Rechner sollten zu den Gummi-Colaflaschen greifen – 20 Stück für eine Mark! Damit kann man sich den ganzen Monat ein süßes Leben machen.
Meine Tante aus Blankenese sagt allerdings immer: „Besser etwas mehr ausgeben, und dafür Qualität.“ Also doch das Panzerknacker-Eis für eine Mark. Man gönnt sich ja sonst nichts. Oder einmal durch Eimsbüttel bummeln: Beim Bäcker in der Müggenkampstraße gibt's Torte für eine Mark – die übriggebliebenen Stücke ab 16.30 Uhr. Aber früher steht der durchschnittliche Sozi-Empfänger ja eh' nicht auf. Allerdings ist so viel Zuckerwerk vielleicht doch keine intelligente Investition, schließlich wird auch der Zahnersatz immer teurer. Also doch eine Boulevard-Zeitung für 80 Pfennig?
Nein, lieber bleibende Werte anschaffen. Die kosten mehr als eine Mark? Kein Problem: Kaufgemeinschaften (KFGs) bilden! Das geht einfach und macht Spaß. Zu fünft ist dann zum Beispiel eine edle Haarspange für 4,99 Mark drin, die reihum getragen wird. TrendsetterInnen können Mega-KFGs bilden und sich einen Videorekorder, eine neue Couchgarnitur oder ein schickes Auto leisten.
Selbst Finanzspekulationen sind für Sozialhilfeempfänger jetzt kein Tabu mehr. Wir haben es ausprobiert: Die Rubbellos-Aktie für eine Mark war (mit dem richtigen Riecher und etwas Glück) schon nach dreißig Sekunden das fünffache wert. Fünf Mark mehr Sozialhilfe im Monat, das sind zehn Kindermilchschnitten oder fünfzig weiße Mäuse oder 100 Gummi-Colaflaschen! Weiter so, Hamburg!
Um die eine Sozialhilfs-Mark gebührend zu feiern, präsentiert die Sozialpolitische Opposition Hamburg heute um 14.30 Uhr im Rathausfoyer den ersten Hamburger Bettlertaler.
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