: Diese Welt ist Klinsmann
„Was uns stark macht“: Das Erreichen des WM-Viertelfinales zeigt, daß der deutsche Kapitän Jürgen Klinsmann das DFB-Team zu seinem gemacht hat wie nie zuvor ■ Von Peter Unfried
Wenn man diesen Mann nach einem Spiel sieht, wie seine Augen einerseits glühen, er andererseits völlig erschöpft, mit geradezu postkoital verschleiertem Blick die Worte aus sich herauszwingen muß, dann weiß man: Der Mann hat gefightet, gekämpft, sich gequält, hat alles gegeben und nie aufgesteckt. Wenn Jürgen Klinsmann dann doch die Worte herauspreßt, vergißt er nie den Diplomateneinstieg („Jeder hat natürlich seine eigenen Ideen“), dann sagt er, was seine Ideen sind. „Wir müssen uns auf das konzentrieren, was uns stark macht“, das sei die Konsequenz aus dem 2:1 über Mexiko.
Im wesentlichen geht es also darum, zu fighten, zu kämpfen, sich zu quälen, alles zu geben und nie aufzustecken. Auf einer fachlich etwas differenzierten Ebene geht es darum, mit einer Kombination von Laufarbeit und Schneid Druck und Tempo dann noch erhöhen zu können, wenn man eigentlich schon ans Müdewerden denken muß.
Ob man damit eine WM gewinnen kann, wird von vielen bezweifelt. „Herz allein genügt nicht“, sagt zum Beispiel Pelé. Immerhin hat man damit das Achtelfinalspiel gegen Mexiko noch herausgerissen, hat in der Hitze von Montpellier zum zweiten Mal im Turnierverlauf einen Rückstand umgedreht. Dazu, sagt Klinsmann, brauche es „natürlich Willen“. Diesen Willen bringt er ein.
Klar sind nicht alle Profis begeistert von Vogts' Vormann, der unaufhörlich den Teamgeist beschwört und ansonsten lieber für sich ist. Aber Klinsmann redet nicht von Fritz-Walter-Gemütlichkeit, sondern professionellem Engagement. Er selbst ist der lebende Beweis dafür, wie weit einer damit kommen kann. Der Ausgleich gegen Mexiko war sein 47. Länderspieltor – nur Gerd Müller hat mehr. Aber der hat immer mehr. Es war darüber hinaus sein drittes im Turnierverlauf, sein elftes Tor bei einer WM, mit dem er nicht nur das Spiel drehte, sondern, wie es aussieht, nun auch die Mannschaft wieder zu seiner gemacht hat.
Es trifft sich gut für Klinsmann (33), daß er mit Turnierbeginn auch das Toreschießen wieder aufgenommen hat. Er hatte „spekuliert, daß etwas passiert“, und das tat es auch. Lara wollte den eher unpräzisen Flankenschlag Hamanns entsorgen, Klinsmann daneben sah aber erfreut, daß „auf einmal der Ball durchrutscht“.
Es traf sich auch gut, daß Kollege Oliver Bierhoff nach Kirstens Flanke beim 2:1 doch noch seinen klinischen Touch zurückfand.
Bierhoff ist dennoch nicht eben euphorisch. Während Vogts davon redet, „noch lange in diesem schönen Frankreich“ bleiben zu wollen, sagte er bloß freundlich, er habe „so früh dann doch nicht nach Haus fahren“ wollen.
Es sind auch wenig Dinge jenseits von Klinsmann, seiner Philosophie und der „Goalgetter, die wir halt haben“ (Vogts), auf die sich Hoffnung auf Kreativität aufbauen ließe: Dietmar Hamanns Arbeit fällt einem da ein, die auch der Trainer „glänzend“ fand. Tarnats Schußkraft und die Wucht seiner Flanken – viel ist das nicht.
Der eingewechselte Andreas Möller glaubt zwar, einen „Anteil“ am Erfolg geleistet zu haben, aber das wollte Vogts bisher so eindeutig nicht bestätigen. Thomas Häßler spielt, weil es keinen besseren gibt. Die kurzfristig ausgefallene Führungskraft Kohler will in Lyon wieder dabeisein, liegt aber philosophisch eh auf einer Linie mit Klinsmann. Die Führungskraft Köpke hat mit dem Festhalten von Bällen genug zu tun. Die ehemalige Führungskraft Thomas Helmer, früh verletzt und ausgewechselt, rennt nur noch so mit – wenn sein Körper es zuläßt. Und Olaf Thon? Sitzt.
Bleibt – Lothar Matthäus. Der hat, beschützt von einem sogenannten Bayern-Block, eine Position auf dem Spielfeld eingenommen, die nur noch rudimentär an jene erinnert, die Vogts einst als Stellenbeschreibung an die Libero-Kandidaten ausgegeben hatte. Dennoch konnte er im Mexiko- Spiel bereits als echte Kreativquelle durchgehen. Andererseits hat er sich eine gelbe Karte eingehandelt, weil er gegen Arellano einfach nicht flink genug war. Matthäus (37) hat nun auch den WM- Weltrekord übernommen, was reine Spielzeit betrifft, und seine angestammte Sprachhoheit über sämtliche Mikrofone und Kameras der Mixed Zones Frankreichs sowieso. Im Moment sieht es dennoch nicht mehr so aus, als könne der Mann, der einst verstoßen wurde, um aus der bösen, also der Matthäus-Welt, die gute, also die Klinsmann-Welt, zu machen, dem Team mehr als einen Libero-Job unterjubeln.
Aus ihrer Sicht hatten die Mexikaner einfach Pech, daß der subtile Toremacher Hernandez seinem Führungstreffer nicht das 2:0 folgen ließ, sondern Köpke in die Arme schoß. Geschichtlich bewertet, waren sie eben doch nicht gut genug, weil sie die offensichtlichen Schwächen der Deutschen nicht gnadenloser aufdeckten, dafür aber ihre eigenen. Vielleicht aus falschem Respekt.
Das ist immerhin ein Trumpf: die Angst der anderen. Und Jürgen Klinsmann ist der Mann, sie zu schüren. „Wenn wir uns auf unseren Fußball besinnen“, sagt er, „das ist gefürchtet bei den Gegnern.“ Die ganze Welt stöhnt schon wieder, stöhnt sie nicht? Gut, daß wenigstens Oliver Bierhoff da ein bißchen beruhigen kann. „Erfahrene Mannschaften wie Brasilien, Italien, Frankreich oder Holland“, vermutet der, „würden so einen Vorsprung nicht mehr hergeben.“ Aber die kommen frühestens im Halbfinale, und dann kann man eh getrost ausscheiden. Wenn dieses Team am Samstag gegen Rumänien oder Kroatien gewinnt, kann Vogts seinen „totalen Neuaufbau“ starten – wenn er es noch will.
Was Jürgen Klinsmann betrifft: Es ist eine bizarre Situation. 1996 hatte das Duo Trainer/Kapitän seinen wunderbarsten Erfolg, aber da war Klinsmann erst gesperrt, dann verletzt und nie in Topform. Und Matthias Sammer brachte die Extraqualitäten ein, die sich mit Klinsmanns Philosophie zum Erfolg addierten. Am Ende war der Erfolg Sammer. Nun fehlen die Extras. Gut, man hat Bierhoffs Tore. Aber eigentlich ist die ganze deutsche Welt nur noch Klinsmann. Das mag man für einen totalen Triumph des Kapitäns halten. Genau das ist aber natürlich auch das Problem.
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