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Agitation und Dilettantismus

Noch a mol: Beim 4. Praterspektakel widmen sich allerlei Berufene mit gewichtiger Ratlosigkeit dem Agitprop-Recycling im Angesicht des ausgehenden Kapitalismus  ■ Von Niko Merck

Noch einmal die Sau rauslassen und dann ab in die Ferien. Oder: Auch ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein. Die Sau, als einzige Top-Künstlerin mit dem Wagen vorgefahren, trägt Schwarzrotgelb und verzieht höchst allerliebst ihr blankes Schnäuzchen. Eine der wenigen Profis an diesem Abend. Die übrigen Berufenen ergingen sich mehrheitlich in heftigem Dilettantismus.

Unter dem Motto „Agitation und Propaganda im ausgehenden Kapitalismus“ hatte die Volksbühne zum 4. Praterspektakel geladen. Abendsonne unter Kastanien. Allerlei Lastwagen waren aufgeboten fürs stilechte Ambiente. Konnten aber durch pures Dasein nichts retten. Tim Staffel stammelte mit eingegipstem Arm von der doppelten Joni und dem Pitbull. Ein schwerer Fall von Hanni und Nanni im Rave-Zeitalter. Sophie Rois auf Lastwagens Ladefläche krähte castorfkompatibles Menschenfresserlatein von der Dreiteilung der Gesellschaft in Infoelite, Bürger und Tiermenschen – Recycling eines anonymen Internet-Manifests, Marke „die Apokalypse steht vor der Tür, das Experiment Mensch in Masse ist gescheitert“: zum Abgewöhnen.

Das Prinzip hieß Zerstreuung statt Konzentration, als Location- Hopping ganz wie im richtigen Fernsehleben. Gewinnen kann dabei nur, wer seiner Performance den notwendigen Schuß Herzblut eines echten Anliegens beimischt. Das Zitat des Zitats des ironischen Zitats frommt wenig. Die Höchstpunktzahl der Aufmerksamkeit erreichten deshalb Jochen Feilcke, CDU-Bundestagsabgeordneter für Kreuzberg und Schöneberg („Auch wer Parteien gar nicht mag / wählt Feilcke in den Bundestag“), und Freke Over von der PDS bei ihrem marktschreierischen Wettbewerb ums Ohr des Wählervolkes. Während Over einfach das begehrte PDS-Kurzprogramm verteilte, warb Feilcke im lündisch Tuch (Preis für das beste Kostüm) mit dem aus Stasi-Akten hervorgekramten Briefwechsel über die Anstrengungen zweier Majore, einen Klodeckel zu fixieren und, in schöner Selbstverständlichkeit, mit der eigenen Bürgernähe. Niemand übertraf die Albernheit dieser Vorstellung, die an Professionalität der Bundes-Sau kaum nachstand.

Ansonsten erbrachte die frühe Runde im Garten viel Ratlosigkeit und noch mehr gewichtig eilende Walkie-talkie-Männlein; doch das Ereignis, dem sie ihre G'schaftlhuberei zu widmen schienen, blieb unsichtbar. So zählten auch sie wohl zur Ausstattung der Leere: animiertes Pappmaché.

Überraschenderweise vermochte später am Abend nicht einmal die 1017. Beerdigung der DDR durch die von Johann Kresnik angeleiteten Verwaltungs- und Technikertruppen der Volksbühne in Nationalmannschaftsleibchen und asterixhaften Römerkostümen rückenschauernde Begeisterung zu wecken – trotz ausgeteilten Texts kam das gemeinsame Singen der Nationalhymne nicht recht in Gang. Der wohl ohnehin auf die Verbesserung des Betriebsklimas angelegte Auftritt entbehrte bitterlich der Mitwirkung des possierlichen Schweines.

Anders das „Sondergastspiel“ aus Tirol. Die Familientruppe der „Original Pradler Ritterspiele“ präsentierte „Die Schröckensnacht auf Schlangenburg“ und brachte mit ihrem Act das Wesen der ganzen Veranstaltung zum Vorschein. Jeder ist ein Künstler, man muß nur lang genug daran glauben. Die Pradler glauben daran seit mehr als 230 Jahren und wissen deshalb, wie Theater fürs Volk gemacht wird. „Noch a mol“ sollte das gnadenloser Animation preisgegebene Publikum rufen, und das Volk tat wie geheißen – und wurde belohnt: Frau Greta Gritt, eine märchenhaft alte Hexe aus dem Kinderbuch, sprang in den Spagat, lupfte ihre Röcke und vollzog zuletzt den Abgang aus dem Turmfenster.

Bei der Flucht aus dem Prater nahmen wir die Botschaft auf den T-Shirts der drei handkeschen Publikumsbeschimpfer wahr: „I have nothing to say and I'm saying it.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Praterfestival: auch heute noch ab 19 Uhr im Prater, Kastanienallee 7–9 (Karten 25 DM, erm. 15 DM)

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