Ökolumne: Ein Volk von grünen Illusionisten
■ Die Deutschen reden sich ein, genug für den Umweltschutz getan zu haben
Deutschland ist grün im Wahljahr 98. So grün, daß ein Stöhnen durch die Republik geht, wenn Nervensägen immer noch von Benzinpreiserhöhung und weniger Urlaubsflügen reden. So grün, daß das innovationsbesessene Forschungsministerium Klimaforschern einen Maulkorb verpaßt, wenn diese öffentlich über Klimaschutz reden wollen. So grün, daß man die ewig nölenden Grünen im September nicht mehr im Bundestag sehen möchte, weil sie den Hals nicht vollbekommen können mit Umwelt, Umwelt, Umwelt.
Ich kann nicht mehr viel tun – diese beruhigende Illusion der Deutschen ist gerade wieder in der Studie des Bundesumweltministeriums (BMU) „Umweltbewußtsein in Deutschland 98“ dokumentiert worden. Der Anteil derer, die Umweltschutz als wichtig bis sehr wichtig ansehen, ist gegenüber 1996 um vierzehn Prozent zurückgegangen – nur noch sechs von zehn Bundesbürgern sehen das so. Vier von fünfen glauben, genug für die Umwelt zu tun. Für immer mehr Bürger haben sich die Umweltverhältnisse in der Bundesrepublik derart verbessert, daß nun allmählich Schluß sein könne mit der ewigen Zahlerei für die Umwelt.
War vor zwei Jahren noch jeder fünfte bereit, für die Umwelt höhere Müllgebühren zu zahlen, ist es nur noch jeder siebte. 1996 konnten sich 36 Prozent vorstellen, mehr Geld für Umweltprodukte ausgeben, jetzt sind es nur noch 28. Damals erschrak noch die halbe Nation über die vielen umweltschädlichen Produkte im Ladenregal. Heute bereitet dies nur noch 38 Prozent Kopfzerbrechen. Und immer weniger sind bereit, für umweltfreundliche Produkte mit dem Blauen Engel etwas mehr Geld auszugeben. Wozu auch? Eine Flut von Öko- Siegeln suggeriert den Konsumenten, daß die ökologische Marktwirtschaft kurz vor der Vollendung steht. Dabei erfüllen manche Ökolabel wie „Öko-Tex“ für Textilien oder „Teppichboden gut“ gerade die gesetzlichen Vorgaben – mehr nicht. Erst kürzlich nahm der BUND diverse phantasievoll gestaltete Gütesiegel für Fleisch unter die Lupe. Ergebnis: in neun von zehn Fällen kann niemand sagen, ob das Fleisch nicht doch von Antibiotika-gemästetem Vieh stammt.
Geradezu schräg wird es beim goldenen Kalb, dem Auto. Lärm und Abgase der zig Millionen Autos werden laut BMU-Studie als zentrales Umweltproblem gesehen. Doch ohne Folgen. Vor zwei Jahren meinten noch knapp 40 Prozent, der Umwelt zuliebe sollte man möglichst wenig Auto fahren – jetzt nur noch ein Viertel. Über Ideen wie Tempolimit auf Autobahnen oder autofreie Innenstädte konnte man vor zwei Jahren noch mit drei Vierteln der Deutschen reden, heute nur noch mit der Hälfte. Sie nehmen die Blechmassen hin wie einen verregneten Sommer.
Während Deutschland in den Augen der Befragten ergrünt, verdrecke der Rest der Welt. Da sind die Deutschen betroffen. Sie sorgen sich um die Regenwälder, die die Indonesier und Brasilianer abfackeln und kahlschlagen, oder um das krebsfördernde Ozonloch, wie eine Studie des Waschmittelkonzerns Unilever vor einigen Monaten feststellte. Als schlimmster Umweltverschmutzer hierzulande gilt noch immer die Industrie. Die sich ohnmächtig fühlenden Verbraucher sortieren derweil den Müll mit religiöser Andacht. Wenn sie nicht mit dem Auto auf Spritztour sind – denn mehr als die Hälfte gibt laut BMU-Studie zu, manchmal „mehr so zum Spaß“ durchs Land zu brausen. Zu Hause aber haben sie den Umweltschutz wahrgemacht und kaufen phosphatfreie Waschmittel im Jumbo-Pack. Die sind zwar voller seltsamer Füllstoffe, damit das Pulver besser aus der Packung rieselt.
Und während der Blick der Bürger in die Ferne schweift und ihr Umweltelan einer illusionären Zufriedenheit weicht, bahnt sich ein massives ökologisches Rollback an. Im medialen konservativen Trommelfeuer aus Kriminalität, Standortsicherung und Überfremdung wird weiterer Umweltschutz zum Luxus abgestempelt, den sich Deutschland nicht länger leisten kann. Oder er wird einfach weggelobt, wie es Bundesumweltministerin Angela Merkel bei der Vorstellung der BMU-Studie tat. Die positive Beurteilung der Umweltsituation durch die Bundesbürger sei ein Beleg für „unsere erfolgreiche Umweltpolitik“. Da lehnt sich das Volk von Illusionisten erleichtert zurück – alle Ökosorgen sind wie weggezaubert: Deutschland ist schon grün. Niels Boeing
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