■ Prag: Klaus toleriert sozialdemokratische Minderheitsregierung: Herrschaft der Manager
Als Ministerpräsident Václav Klaus im Dezember des letzten Jahres seinen Rücktritt erklärte, machte dies vor allem eines deutlich: Im Unterschied zu den meisten anderen osteuropäischen Ländern sind in Tschechien die einstigen Bürgerrechtler mehr als nur gernbeklatschte Gäste bei Intellektuellentreffen. Wenn sie wollen, schaffen sie es sogar mit ihren Idealen von Wahrheit und Moral eine korrupte Partei wie die ODS zum Straucheln zu bringen.
Dies ist nun vorbei. Sollte wahr werden, was Václav Klaus mit seinem bisherigen sozialdemokratischen Gegenspieler Milos Zeman vereinbart hat, wird es in Tschechien zukünftig zwei große Parteien geben, die die Macht im Land unter sich verteilen. Dazu gehört eine Wahlrechtsreform, die verhindern soll, daß kleine Parteien wie etwa die Freiheitsunion des Exdissidenten Jan Ruml erneut ins Parlament einziehen. Dazu gehört eine so stabile Mehrheit im Parlament, daß die bisherige Vermittlungstätigkeit von Präsident Václav Havel überflüssig wird und ihn an den Rand des politischen Geschehens drängt. Die Tschechen sind verwundert. Nach einem Lagerwahlkampf, der Peter Hintze als blutigen Anfänger erscheinen ließ, ist es für sie nun so als würde Helmut Kohl eine von Gregor Gysi geführte Minderheitsregierung tolerieren.
Und so wird genau das, was durch den Sturz von Klaus verhindert werden sollte, nun Realität. Die Herrschaft der Managerkapitalisten. Ausgebildet unter den Kommunisten, traten sie kurz nach der Wende den großen Parteien bei und managen seitdem als „Fachleute“ die bis heute hinausgezögerte Privatisierung der großen staatlichen Betriebe. Wer sich dabei wie bereichert hat, wollte Rumls Union untersuchen lassen. Dies kann er nun nicht mehr durchsetzen. Ironie dieser Geschichte: Schuld daran ist Ruml selbst. Mit seinem Anspruch auf absolute politische Moral wies er die großzügigen Koalitionsangebote des immer wieder in Geheimdienst- und Korruptionsaffären verstrickten Zemans entrüstet zurück.
Zwar haben auch die Sozialdemokraten immer wieder erklärt, Licht in den Tunnel der Privatisierungsabläufe bringen zu wollen. Dazu wird es jedoch kaum kommen. Die alleinige Regierungsverantwortung überrascht die Partei wie ein Gewitter im Winter, unklar ist, ob sie alle Ministerposten mit halbwegs qualifizierten Leuten besetzen kann. Die Minderheitsregierung ist so nicht nur vom Wohlwollen der der ODS, sondern auch von ihren erfahrenen Exministern abhängig, denen man Staatssekretärsposten versprochen hat. Die eine oder andere Bereicherung wird man da gern übersehen. Sofern auch noch etwas für die eigene Partei abfällt. Sabine Herre
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