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■ NachschlagWer liebt, schweigt nicht: Monolog nach Texten von Roland Barthes

Die Frau hat gelebt und geliebt. Sie wurde enttäuscht und versuchte es wieder. Jetzt sitzt sie im Café und wartet. Aber der Mann kommt nicht. Verspätet er sich? Hat er die Verabredung vergessen? Ein Anruf, der Klarheit verschaffen könnte, ist auch nicht möglich. Das Telefon ist zu weit hinten im Café – da hätte sie die Eingangstür nicht mehr im Blick. Und wenn er dann gerade käme, während sie telefonierte! Er würde sie nicht sehen und wieder gehen. Also wartet sie weiter und beginnt zu reden. Über viele vergebliche Liebesversuche und die kleinen masochistischen Spiele, die eine Wartende mit sich spielt. „Szenographie der Erwartung“, sagt sie, „das spielt sich ab wie ein Theaterstück.“

„Zweitausendundeine Nacht oder Ich bin die, die wartet. Ein Monolog nach Texten von Roland Barthes ,Fragmenten einer Sprache der Liebe'“ heißt der Abend im Theater zum Westlichen Stadthirschen. Das Buch war Kultlektüre der Achtziger und enthält sämtliche Begriffe, um die sich damals das Denken aller angestrengten Uniseminare drehte. Worte wie Abwesenheit, Begehren und Fetisch nun in einem Frauenmonolog wiederzufinden – ich hatte echte Bedenken. Aber der Schauspielerin Hildegard Schroedter, die Barthes' Buch für das Theater bearbeitete und spielte, gelingt die große Überraschung, aus diesem Philosophenkitsch ein unterhaltsames Selbstgespräch zu machen. All die Gefühle, die jeder kennt, der mal verliebt war, breitet sie wie kleine Dramen vor uns aus.

Plötzlich kommt sie zwischen ginstergelben Wänden hervor, unter einem grauen Mantel ein dunkelrotes Korsagekleid. Sie reckt die Hände in die Höhe, stößt einen summenden Klagelaut aus, dann lacht sie sich selbst aus. Mal ist sie ganz Tragödin, dann wieder ganz moderne Frau. Barthes' Liebestheorien fallen wie ironische Bemerkungen aus. „Wo eine Wunde ist, ist auch ein Subjekt“ – wenn Hildegard Schroedter das sagt, klingt es wie die Antwort von Frau Irene aus der berühmten Ratgeberrubrik. In der Fabriketage, in der das Theater zum Westlichen Stadthirschen seine Spielstätte hat, ist es sonst totenstill. Keine zehn Zuschauer sind gekommen. Doch am Ende klatschen sie, als wären es mindestens hundert. Esther Slevogt

Bis 12.7., Fr.-So., 20.30 Uhr, Theater zum Westlichen Stadthirschen, Kreuzbergstraße 37

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