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Zwei Sichten auf die Geschichte einer Bank

■ Der Reader der Bundesbank ist apologetisch, W. Bickerichs Arbeit dafür um so informativer

„Was für den Freudianer der Sex, ist für den Monetaristen die Geldmenge – nämlich eine Erklärung für alles.“ So machte sich Ex- Bundesbankpräsident Otmar Emminger über US-Theoretiker lustig, die in der kontrollierten Geldausgabe ein wirtschaftspolitisches Allheilmittel sahen. Doch ein soeben von der Bundesbank herausgegebenes Buch über die Geschichte der D-Mark belegt, daß deren Blickfeld fast ebenso beschränkt ist.

Zwar will die Bundesbank die Welt nicht allein mit der Geldmenge erklären. Aber dafür reduziert sie die Welt um so gut wie alles, was zu deren Erklärung beitragen könnte. Mark und Bundesbank scheinen bei ihr im luftleeren Raum zu schweben – abgeschottet von so profanen Untiefen wie Politik und sozialer Realität. Diese Betrachtungsweise ist eine erstaunliche Leistung in Anbetracht der Tatsache, daß die Geschichte der Mark von 1876 bis heute in einem eng beschriebenen Buch mit dem Format eines Brockhaus-Lexikons dargestellt wird. Eine „Vielzahl unabhängiger, renommierter Wissenschaftler“ soll laut Waschzettel daran mitgeschrieben haben.

Das Kapitel über die NS-Zeit, verfaßt von US-Professor Harold James, sieht ein zentrales Problem dieser Epoche darin, daß „eine scheinbar in Stein gemeißelte rechtliche Unabhängigkeit der Zentralbank keine absolute Gewähr gegen politische Einflußnahme“ bot. Hitler hatte den Reichsbankrat gedrängt, Hjalmar Schacht zum Präsidenten zu ernennen. Ein Jahr später übernahm der dann kommissarisch die Führung des Reichswirtschaftsministeriums – ein „schwerwiegender Verstoß gegen das Reichsbankgesetz“, wie James anmerkt. Doch kurz danach bescheinigt der Autor Schacht, im „überzeugendsten Teil seiner Rede [...] ein emphatisches Bekenntnis zum Rechtsstaat“ abgelegt zu haben. Und auch Schachts persönlicher Einsatz für einige jüdische Bankiersfamilien beim Transfer von Vermögen ins Ausland ist James wichtig. Es geht dem Autor nicht um eine kritische Bilanz der Reichsbankgeschichte, sondern darum, über ihre Verantwortung in der NS-Zeit hinwegzuschreiben. Schließlich saßen ja eine ganze Reihe Reichsbanker später auf den Chefsesseln der Bundesbank – und auf diese, sich stets ihrer politischen Unabhängigkeit rühmende Institution soll nichts kommen. So erwähnt James die Sondersteuer, die die NS-Regierung kurz nach der Kristallnacht von allen Juden erhob, nur mit einem Halbsatz. Die intensive Mitarbeit der späteren Bundesbankdirektoren Wilhelm Vocke und Karl Blessing an ihr ist ihm keine Erwähnung wert.

Um davon zu erfahren, muß man ein wesentlich dünneres, dafür aber weitaus informativeres Buch lesen: „Die D-Mark – eine Biographie“ von Wolfram Bickerich. Bickerich interessiert sich für alle Aspekte des deutschen Geldes: seine Verteilung, seine Symbolkraft, seine Herstellung und vor allem den Umgang der Politik mit ihm. Lebendig und verständlich – manchmal etwas verkürzt und zugespitzt – beschreibt er durch den Fokus Geld die historische Entwicklung Deutschlands vom Mittelalter bis heute mit dem Schwerpunkt auf dem 20. Jahrhundert. Die Arbeiter, die 1923 morgens vor der Arbeit mit einem Sack Banknoten nach Brot anstanden, interessieren ihn ebenso wie der Streit zwischen Adenauer und Erhard um die richtige Geldpolitik, die Währungsschlange im Tunnel und das Salär der Bundesbanker. Auch der Stolz der Deutschen auf die D-Mark und die fast neurotische Sorge um ihre Stabilität werden bei Bickerich verständlich. Denn als der Krieg zu Ende war, gab es Geld im Überfluß. Die Nationalsozialisten hatten Panzer, Raketen und Proviant für die Soldaten vor allem durch den Druck von Banknoten finanziert, Zwar führte die Inflation diesmal nicht zu einer rasanten Vermehrung von Nullen auf den Geldscheinen, so wie 1923. Aber zum zweitenmal in diesem Jahrhundert erlebten die Deutschen, daß sich für Geld nichts kaufen ließ.

Die Einführung der D-Mark füllte dann schlagartig die Schaufenster mit Waren. Und als die D-Mark in den 50er Jahren immer stärker wurde, Deutschland zum Exportweltmeister aufstieg, die Bundesregierung sogar einen Geldvorrat einlagerte, schwelgten die Leute in dem Gefühl: „Wir sind wieder wer.“ In der Silvesternacht 1958 wurde die westdeutsche Währung unbegrenzt umtauschbar. Der Reiseboom begann und damit die massenhafte Erfahrung, daß zumindest die D-Mark ein gerngesehener Gast im Ausland ist.

Das wichtigste Ereignis im Leben der D-Mark war ihre Übertragung auf den Osten des Landes. Die Bundesregierung hatte die Währungsunion beschlossen und verkündet, ohne Bundesbankchef Karl Otto Pöhl auch nur informiert zu haben. Der sagte schon damals voraus, daß die meisten DDR-Betriebe bankrott gehen würden. Ohne enorme Transferleistungen aus dem Westen seien massive „soziale Verwerfungen“ absehbar. Kanzler Kohl reagierte schließlich mit einem klugen Schachzug: Er holte den Bundesbanker Hans Tietmeyer als Berater nach Bonn.

Der steht heute an der Spitze der Bundesbank. Und vielleicht ist das auch der Grund, warum die Leserin von dem „tiefen Zerwürfnis“ zwischen Bundesregierung und Währungshütern nur bei Bickerich, nicht aber in dem 880-Seiten- Schinken der Bundesbank erfährt. Dort wird Pöhl in dem Kapitel über die Währungsunion nicht ein einziges Mal auch nur erwähnt. Annette Jensen

Deutsche Bundesbank (Hrsg.): „Fünfzig Jahre Deutsche Mark“. C.H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München 1998, 88 DM

Wolfram Bickerich: „Die D-Mark. Eine Biographie“. Rowohlt, Reinbeck 1998, 39,80 DM

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