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■ Noch einmal will heute die Kontaktgruppe ein Autonomiestatut für den Kosovo definieren. Doch diese Option ist bei der Bevölkerung wie auch bei Präsident Rugova vom TischAlles läuft für Milosevic

Noch einmal will heute die Kontaktgruppe ein Autonomiestatut für den Kosovo definieren. Doch diese Option ist bei der Bevölkerung wie auch bei Präsident Rugova vom Tisch

Alles läuft für Milošević

Anfang September reist US-Präsident Bill Clinton zu einem Gipfeltreffen mit seinem Amtskollegen Boris Jelzin nach Moskau. Ein Sprecher des Weißen Hauses verkündete gestern die „zwei Hauptthemen des Gipfels: Rußlands Finanzkrise und die anhaltenden Kämpfe im Kosovo“.

Heißt diese Ankündigung, daß Washington mit einer Fortsetzung des Krieges in der südserbischen Provinz für mindestens weitere zwei Monate rechnet? Der verfahrene Stand der diplomatischen Bemühungen um eine Beendung der bewaffneten Auseinandersetzungen und die Aushandlung einer politischen Lösung läßt diese Perpektive realistisch erscheinen. Auch vom heutigen Treffen der Balkan- Gruppe (USA, Rußland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Deutschland) in Bonn sind außer den bekannten, folgenlosen Appellen und leeren Drohungen kaum erfolgversprechende Maßnahmen zur Beendigung des Konflikts zu erwarten.

Das gilt auch dann, wenn sich die Kontaktgruppe heute auf die Definition eines Autonomiestatus für den Kosovo einigen sollte. Dies hatte Bundesaußenminister Klaus Kinkel vorab angemahnt. Denn „ohne Klarheit, was Autonomie bedeuten soll“ – so die Londoner Times – „reicht die Einigkeit von Kontaktgruppe und EU, daß Unabhängigkeit für den Kosovo nicht in Frage kommt, nicht aus als Strategie zur Kriegsvermeidung“.

Schon vor Beginn der militärischen Aggression serbischer „Sicherheitskräfte“ im Februar hätte das Angebot selbst einer weiterreichenden Form der Autonomie, als sie bis 1989 existierte, nicht mehr ausgereicht zur Befriedung des Konflikts. Nachdem die serbischen „Sicherheitskräfte“ in den letzten fünf Monaten nach dem Muster der „ethnischen Säuberungen“ in Bosnien rund 70.000 albanische Zivilisten vertrieben, mindestens 700 getötet sowie die Grenze zu Albanien vermint haben, steht für die Kosovo-Albaner nichts mehr zur Debatte außer einer vollständigen staatlichen Unabhängigkeit.

Die Kosovo-Befreiungsarmee UCK, die mit politischen und bewaffneten Mitteln für dieses Ziel streitet, hat in Folge der serbischen Aggression erheblichen Zulauf und materielle Unterstützung erhalten. „Man könnte meinen, Slobodan Milošević ist der heimliche Hauptverbündete der UCK“, meinte der Balkan-Unterhändler der USA, Robert Gelbard, am Montag abend, nachdem er und sein Kollege Richard Holbrooke mit dem Bemühen gescheitert waren, wenigstsns Verhandlungen zwischen Belgrad und Priština in Gang zu bringen.

Albanerführer Ibrahim Rugova unterscheidet sich zwar in der Wahl der Mittel von der UCK, nicht aber in der Forderung nach staatlicher Unabhängigkeit. Kontaktgruppe und EU machen der Öffentlichkeit etwas vor, wenn sie den Eindruck erwecken, als ließe sich mit dem noch immer als „wichtigsten Gesprächspartner“ deklarierten Rugova eine Verständigung über ein Autonomiemodell erzielen. Rugova, dessen Einfluß parallel zum Erstarken der UCK erheblich zurückgegangen ist, kann sich um den Preis seines (politischen) Überlebens nicht mehr auf Autonomieverhandlungen einlassen. Und daß sich die UCK Rugova „politisch unterordnen“ wird, wie Gelbard Ende Juni nach Gesprächen mit UCK-Auslandsvertretern verkünden ließ, hat sich längst als naive Fehleinschätzung des oberstem US-Balkandiplomaten erwiesen. Von UCK-Vertretern ist bereits zu hören, daß es längerfristig um die staatliche Vereinigung der Albaner des Kovoso mit denen Makedoniens und Albaniens gehe. Und während die Regierungen in Skopje und Tirana entsprechende Vorstellungen zumindest bislang noch ablehnen, werden von Oppositionskräften immer lauter ähnliche großalbanische Forderungen erhoben.

Von Kontaktgruppe und EU werden inzwischen die serbischen „Sicherheitskräfte“ und die UCK auf die gleiche Stufe gestellt: als „bewaffnete Kräfte“. Ursache und Vorgeschichte des Konflikts sowie das nach wie vor deutlich unterschiedliche Vorgehen der beiden Seiten bleiben ausgeblendet. Alle seit Februar mehrfach ultimativ erhobenen Forderungen an Belgrad wurden inzwischen fallengelassen. Ihr ursprüngliches Verlangen nach bedingungsloser Einstellung der militärischen Aktivitäten der serbischen „Sicherheitskräfte“ und ihrem vollständigen Rückzug aus dem Kosovo dürfte die Kontaktgruppe heute durch die Forderung nach Verhandlungen über einen Waffenstillstand ersetzen. „Alles läuft nach dem Plan von Milošević“, kommentierte der Balkandiplomat eines westeuropäischen Staates gestern die Misere.

Die französische Regierung ließ bereits öffentlich verlauten, jetzt müsse vor allem ein weiteres Vordringen der UCK über das bisher von ihr „befreite“ runde Drittel des Kosovo-Territoriums hinaus verhindert werden.

Das ist auch das Ziel Miloševićs, dessen „Sicherheitskräfte“ bislang noch weitgehend diejenigen Gebiete unter Kontrolle halten, die wegen ihrer Bodenschätze von entscheidender Bedeutung für Belgrad sind. Ein Waffenstillstand entlang dieser Linien – so sehr er im Interesse der geschundenen Zivilbevölkerung läge – wäre wahrscheinlich auch der erste Schritt zur Aufteilung des Kosovo. Andreas Zumach, Genf

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