Der Akt mit den Akten

■ GAL verdächtigt das Staatsarchiv, NS-Dokumente vorschnell zu vernichten

Werden im Hamburger Staatsarchiv relevante Gerichtsakten aus der NS- und Nachkriegszeit vernichtet? Diesen Verdacht äußerte gestern die GAL-Bürgerschaftsabgeordnete Sabine Boehlich. Damit würde ein Schaden angerichtet, der die Forschung über NS-Opfer „ernsthaft“ gefährde. Vor allem die Geschichte der „vergessenen Opfer“, wie z.B. „sozial Auffällige“, müsse aber weiterhin dokumentiert werden. In einer Kleinen Anfrage an den Senat will Boehlich nun Genaueres über die Aktenvernichtung erfahren.

Beim Stellvertretenden Abteilungsleister des Bereichs Justiz im Hamburger Staatsarchiv, Claus Stukenbrock, stoßen die Mutmaßungen der GALierin auf Unverständnis: „Sämtliche zeitgeschichtlich wichtigen Strafprozeßakten werden bei uns aufbewahrt.“ Es könnten aber nicht alle vorhandenen Papiere dauerhaft ins Staatsarchiv übernommen werden. Die Auswahl geschehe jedoch nach dem „ausgeklügelsten Verfahren, das wir je hatten“.

Gemeinsam mit Staatsanwaltschaft und Justizbehörde sind Kriterien entwickelt worden, nach denen die Akten seit Sommer 1987 gesichtet und gegebenenfalls aussortiert werden. Insgesamt 100 000 Strafverfahrensakten der verschiedenen Hamburger Gerichte aus den Jahren 1933 bis 1945 sind in den Speichern des Strafjustizgebäudes erhalten geblieben. Als „archivwürdig“ gelten solche Schriftwechsel, die „den politischen oder sozialen Hintergrund von Straftaten“ oder „die Verfolgung von Minderheiten“ beleuchten. Ebenfalls nicht vernichtet werden Strafakten, die zu Wiedergutmachungs- oder Entschädigungsverfahren gehören. Dies hatte die Justizbehörde, die eine Projektgruppe zur Justizgeschichte der Nazi-Zeit eingerichtet hat, schon 1988 mit ihrer „Verfügung zur Verlängerung der Aufbewahrungsfristen“ angeordnet.

Auch Uwe Lohalm, stellvertretender Leiter der „Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg“, schließt aus, daß Dokumente vorschnell vernichtet werden: „Es wird sorgfältig geprüft.“ Aus rechtlichen Gründen könnten die aussortierten Akten jedoch nicht anderen Interessierten überlassen werden: „Für amtliche Schriftstücke sind nur staatliche Archive zuständig.“

Clemens Gerlach