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Die Jungs von Mahdia

Die kleine Hafenstadt in Tunesien ist eine relativ junge touristische Eroberung. Ein Geheimtip. Wenn in den wenigen großen Hotels Bingo angesagt ist, fahren die Fischer mit ihren Booten aufs Meer hinaus  ■ Von Edith Kresta

Erkennen Sie mich nicht“, fragt der etwa 25jährige Mann in Jeans, blau-roter Windjacke und Badelatschen. „Ich arbeite doch als Kellner in ihrem Hotel.“ Mag sein, daß er in schwarzen Hose, dezenten Schuhen und weißem Hemd anders aussieht, vielleicht auch vertrauenserweckender als in schnittiger Freizeitkluft. Spätestens jedoch nach dem fünften Versuch eines Unbekannten, auf diese Art Kontakt zu knüpfen, traut man wieder sich selbst. Die scheinbar Bekannten aus dem Hotel sind unbekannte Einheimische, die einem Touristen ein Geschäft zeigen, eine Frau anbaggern oder einfach nur ins Gespräch kommen wollen. Nach Hammaet, Nabeul, Sousse und Monastir ist auch Mahdia vom touristischen Buschfeuer erfaßt worden, das Tunesiens Küstenzonen zu aufgemöbelten Amüsiermeilen lichtet. Und wie überall hat der Tourismus neue Begehrlichkeiten geschaffen.

Das vom internationalen Tourismus halb wachgeküßte Mahdia ist eine unaufgeregte, kleine Hafenstadt, mit touristischen Attributen reichlich gesegnet: lange Sandstrände, eine romantische Medina und ein gewachsener Hafen. Doch Mahdia hat seinen provinziellen Charakter, seine Ruhe bewahrt. Die kleine Küstenstadt südlich von Monastir ist ein Geheimtip

Neben größeren Trawlern liegen vor allem kleine, abgehalfterte Fischerboote im Hafen. Wenn tagsüber die Fischer ihre Netze in den Booten flicken, werden Capri- Träume wach. Oder Bilder von Piratenüberfällen, die sich an den dicken Mauern der alten Festungsanlage abmühten wie ehedem Spanier und Malteser.

Die Medina von Mahdia liegt auf einer felsigen Halbinsel. Unterhalb der mächtigen arabischen Festungsanlage, von der aus Land und Meer meilenweit überblickt werden können, erstreckt sich der Friedhof. Scheinbar willkürlich angeordnet, liegen die kargen, weißen Gräber bis ans Meer verstreut. Letzte Ruhestätte in bester Lage und mit Meerblick. Auf der Straße, die durch den Friedhof führt, spielen Kinder Ball. Eine deutsche Motororadrallye nebst Filmteam versucht zum wiederholten Mal den merkwürdigen Straßenabschnitt mit Motorrädern zwischen Gräbern und ohne störenden Gegenverkehr ins Bild zu bekommen.

Der organisierte Tourismus hat eine Schneise durch Tunesien geschlagen. Noch die letzte römische Säule, die kleinste Oase oder das rückständigste Bergdorf werden von Urlaubergruppen stundenweise angesteuert. Und so sprießen in den verlorensten Winkeln glückliche Oasen aus dem Boden: Großanlagen mit allem Komfort, allem Luxus und selbst im trockenen Süden mit Pool und reichlich Wasser ausgestattet. Am Rande dieser touristischen Schneisen bieten Verkäufer ihre Artesania oder kleine Kioskbesitzer Cola und Kaffee. Randexistenzen mit einer niedrigeren Profitrate.

Auch in Mahdia entwickelt sich der typische Großtourismus. Fünf touristische Anlagen von drei bis vier Sternen zieren die „Zone touristique“. Darunter auch das Mahdia Palace in üppiger überbordender Pracht: Marmor, ausladende Polstermöbel, teppichgedämpfte Salonatmosphäre, typisch tunesische Accessoires wie kupferbeschlagene Tische oder versilberte Wasserpfeifen nur vom Feinsten, coole Disco und aufgemöbelter Tanzsalon. Orientalischer Lifestyle, umschlossen von dicken Mauern mit Türmchen und Toren. Das Mahdia Palace gleicht einer alten Festungsanlage, einem arabischen Ribat. Eine Festung ist es ohnehin. Hier darf man ungestört spaßen und sich erholen.

Paläste wie das Mahdia Palace sind auch für einheimische Unternehmer lukrative Abschreibungsobjekte. Tunesiens Wirtschaftspolitik fördert im Zeichen der Liberalisierung vor allem den Tourismus. Nur zehn Prozent an Eigenkapital braucht der Besitzer für den Bau eines Hotels. Den Rest schießt die Bank als günstigen Kredit zu. Und sollte das Hotel der Konkurrenz unter den viel zu vielen neuen tunesischen Hotels nicht standhalten, so fällt es an die Bank. Der Verlust des Eigners, rechnet man die Abschreibungen dazu, ist relativ gering. So wird ein großes Hotel nach dem anderen gebaut.

Die Altstadt von Mahdia mit ihrem weißen, kubischen Häusern, dekorativ auf dem felsigen Cap Afrique gelegen, trotzt der touristischen Umarmung. Nach Sonnenuntergang findet der flanierende Besucher keinen geöffneten Basar, kein Café. Mahdia schläft. Auch aus den verschlossenen Häusern dringt kaum Lärm. Allenfalls Katzen spazieren auf der Stadtmauer und wühlen sich in die schwarzen Müllbeutel, die dort der Entsorgung harren. Auch im Café am Place de Caire sind die Stühle ab acht Uhr zusammengestellt. Einladend inmitten der Medina unter schattigen Bäumen gelegen, ist das Café am Nachmittag beliebter Männertreff und Touristenzielpunkt. Jetzt nach Sonnenuntergang sitzen gerade noch drei Männer vor dem gegenüber liegenden Lebensmittelgeschäft und ziehen an der Wasserpfeife. Einzig der Lebensmittelladen hat geöffnet. So wird die materielle Grundversorgung mit Tomatenbüchsen, Keksen, Wasser und Omo auch spät abends garantiert. Die kulturelle Grundversorgung findet jetzt vor dem Fernseher statt: die größten Parabolantennen zieren noch die kleinsten Balkone der Stadt.

Vielleicht spaziert noch ein verlorenes Urlauberpaar auf der Suche nach Zerstreuung durch die Medina. Es wird erfolglos an die Hotelbar zurückkehren. Dort trifft es möglicherweise den genervten Österreicher, der nun schon das fünfte Mal seinen Urlaub in Mahdia verbringt. Immer wieder enttäuscht, daß hier nicht Teneriffa ist, wo er abends von einer Bar zur anderen stolpern konnte.

Abends gegen zehn Uhr ist nur noch am Hafen Leben. Männerleben. Mann raucht Wasserpfeife, spielt Scoopa oder Tavla, trinkt Kaffee oder Tee. Das blau gekachelte Neoncafé am Hafen von Mahdia mit seinen weißen Plastikstühlen und den verbeulten Resopalplatten auf den alten Tischen hat rund um die Uhr geöffnet. Hier verkehren die Fischer, bevor sie ausfahren oder wenn sie zurückkommen.

Mahdia ist der größte Fischereihafen Tunesiens. Neben mittleren Booten laufen vor allem kleine Fischerboote aus. Den Fang kann man morgens auf dem Fischmarkt direkt am Hafen oder in der Dose erwerben. Knapp ein Dutzend Konservenfabriken verarbeiten die Ausbeute der Fischer vor Ort. Von Mahdia, so berichtet man sich hinter vorgehaltener Hand, fahren auch Menschenschmuggler-Boote nach Italien aus. Gerüchte.

„Hier wollen doch alle weg“, erzählt Mabrouk im Café. „Bei einem Durchschnittseinkommen von zirka 300 Dinar (etwa 500 Mark) gibt es kaum eine Perspektive. Alle leben auf Kredit, außer natürlich ein paar Reiche.“ Majid legt die Finger auf die Lippen: „Psst.“ Er zeigt auf zwei Tische weiter. „Spitzel.“

„Das Polizeiaufkommen hat sich unter Präsident Ben Ali vervierfacht“, meint Mabrouk, der Intellektuelle unter den Freunden. „Hier kann man in der Öffentlichkeit nicht offen reden.“ Die sechs Männer am Tisch tun es dennoch. Sie erzählen von den Schwierigkeiten, eine Familie zu gründen, weil das nötige Geld nicht da ist, von der Trostlosigkeit des Seins und der Repression durch die Politik, die im Kampf gegen den Islamismus auch jeder anderen kritischen Opposition den Garaus machte. „Viele Männer wollen eine Touristin zwischen 35 und 59 kennenlernen. Zwecks Heirat“, meint Ali. Sieht man den jungen Ali, wundert man sich über das fortgeschrittene Alter der begehrten Weiblichkeit. Ali erklärt: „In diesem Alter sind die Frauen auf jeden Fall ökonomisch unabhängig und frei vom Elternhaus.“ Und damit womöglich offen für eine Liebe auf der anderen Seite des Mittelmeers mit anschließender Heirat. Mabrouk findet diese Heiratsgeschichten unangenehm. Er träumt vom selbständigen Auszug nach Kanada: „In Europa gibt es ja auch immer mehr Arbeitslosigkeit“, weiß er.

Ein, zwei Kaffees am Abend, einmal im Monat vielleicht die Hoteldisco – das Vergnügungsprogramm der Jungs von Mahdia ist bescheiden und auf sich selbst zurückgeworfen.

„Frauen gehen nicht in solche Cafés“, meint der schlacksige Ali, der in einer Weberei die bunten Hochzeitstücher von Mahdia webt. „Sie gehen nachmittags vielleicht ins Terrassencafé Sidi Salem, abends bleiben sie zu Hause.“ Das Terrassencafé Sidi Salem liegt in den Fels gehauen direkt am Meer. Schülerinnen schlürfen dort Cola, tunesische Paare – er fast immer lässig mit dem Autoschlüssel spielend – sitzen lange schweigend bei einem Kaffee. Das Terrassencafé ist ein moderner Treff mit traumhaftem Meerblick. Idealer Ort für Verliebte, Flirts und Rendezvous. Frauenkompatibel.

Hier fühlen sich auch die Urlauber geborgen, denen die folkloristische Männerdominanz in den anderen Cafés suspekt ist. Abends, wenn die rote Sonne im Meer versinkt, kann man hier Mittelmeer pur genießen. Dann rudern die Fischer mit ihren Booten aufs Meer hinaus und werfen in weiten Bogen die Netze aus. Und vielleicht träumt der eine oder andere von einer Marie auf der anderen Seite des Mittelmeers.

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