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Bremer Blackouts„Ungebührliches“ über Anne Frank

■ Auch der RB-Rundfunkrat beschäftigt sich mit der Popnacht-Moderation

So also hört sich ein „Blackout“ an: Es ist Nacht, die Nacht nach der Zugkatastrophe von Eschede vom 3. auf den 4. Juni 1998. Der inzwischen entlassene Radio-Bremen-Moderator Peter M. führt die HörerInnen der angeschlossenen Funkhäuser durch die ARD-Popnacht. Wummernd schnelle Beats unterlegen auch gegen vier Uhr morgens ein Hörergespräch. Am Telefon ist eine jugendliche Anruferin aus Bremen, die auf Befragen des Moderators angibt, an einem Referat über Anne Frank zu arbeiten.

Peter M. und Anne Frank? Es ist das Hörergespräch, das morgen unter Punkt elf der vollen Tagesordnung den Radio-Bremen-Rundfunkrat beschäftigen wird. Es ist das Hörergespräch, von dem manche im Sender hoffen, daß es die „Jerusalem Post“ oder die „New York Times“ nicht noch zur Geschichte macht. Es ist das Gespräch, das später in offiziellen Stellungnahmen von Radio Bremen zunächst als „ungebührliche Äußerungen“ über Anne Frank dargestellt und als „Blackout“ definiert wurde.

Die Musik wummert weiter. Der Moderator legt theatralen Duktus in seine Stimme und sagt in einem Crescendo „Ich hasse Anne Frank“. Dann erklärt er, daß ihm übel werde, wenn er Schwarz-Weiß-Fotos von dem Mädchen sähe. Er fragt die hörbar verunsicherte Anruferin, ob ihr zu Anne Frank etwas Lustiges einfalle. Sie reagiert zögerlich, sagt Anne Frank sei umgebracht worden, aber das sei nicht lustig. Der vor allem durch die Comedy-Figur „Hermine Plaschke“ bekannte und bei Jugendlichen durchaus beliebte Moderator Peter M. bestätigt diese Feststellung immerhin, läßt aber keine Veränderung der Moderation erkennen. Er bekennt nicht, provozieren zu wollen. Auch ein Bewußtsein davon, welches Tabu er da bricht, ist herauszuhören. Er zieht dieses Gespräch über mehrere Minuten hin – und nicht, wie Peter M. laut „Berliner Zeitung“ vom 25. Juni 1998 erklärte, vierzig Sekunden.

Nach einer Hörerbeschwerde aus Hessen fiel bei Radio Bremen eine schnelle Personalentscheidung: Fristlose Entlassung. Es habe keine andere Wahl gegeben, als so zu reagieren, zitiert die „Berliner Zeitung“ den Radio-Bremen-Intendanten Karl-Heinz Klostermeier. Trotzdem brachte Radio Bremen in Stellungnahmen die Bezeichnung „Blackout“ ins Spiel.

Dem 32jährigen Peter M. sollte die Zukunft nicht verbaut werden. Dahinter läßt sich Fürsorgepflicht genauso vermuten wie das Kalkül, mit dem Moderator noch etwas vorzuhaben, wenn die Nacht von Eschede vergessen ist. Personalentscheidungen sind zum Glück interne Angelegenheiten. Die Affäre mit der nächtlichen Moderation aber war – spätestens, als sich Peter M. in der „Berliner Zeitung“ äußerte – nicht mehr geheimzuhalten. Aber ist ein bloßer „Blackout“ ein Grund zu einer fristlosen Kündigung?

Einen viel zitierten Blackout hat es bei Radio Bremen schonmal gegeben. In der Märzsitzung des Rundfunkrates hatte Intendant Klostermeier im Blick auf jene Ratsmitglieder, die eine Wiedereinführung der Intendantenverfassung forderten, einen Vergleich gewagt: Er könne verstehen, daß in einer solchen Situation nach einem starken Führer gerufen werde. Und, nach einer Pause: „Das war 1932 auch schonmal so.“

Über die Vergleichbarkeit von „Blackouts“ läßt sich streiten. Doch zwischen beiden Affären klaffen ein großer und ein Riesenunterschied. Klostermeiers unbedachter Vergleich kam aus dem Vokabular der Faschismus-Kritik. Er hat sich dafür später „in aller Form“ entschuldigt.

Peter M.'s Äußerungen kamen aus einer anderen Richtung. Vor allem war die Anne-Frank-Moderation entgegen der ursprünglichen Darstellung kein „Blackout“, sondern ein unüberlegtes Experiment in Sachen „Hate radio“. Fragt man Hörfunk-RedakteurInnen bei Radio Bremen – auch solche mit jahrzehntelanger Berufserfahrung –, sagen sie übereinstimmend, so etwas hätten sie im deutschsprachigen Radio noch nicht gehört. Und: Diese Moderation sei ohne Vergleich.

Sie haben recht damit.

Christoph Köster

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