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■ Der anonyme Mohr und seine Frankfurter FreundeDas Schwanzbuch des Kommunismus

„Es ist unser und mein dunkelstes Kapitel, ich weiß oder ahne es besser nur, weil ich da selber wahnsinnig Angst vor bestimmten Sachen in mir habe. Bartsch und Honka sind Extremfälle, aber irgendwo hängt das als Typ in mir drin.“ Das schreib Joschka Fischer 1977 über sich und seine Rolle als revolutionärer Straßenkämpfer in Frankfurt, in einem von Thomas Schmid herausgegebenen Klassenkampfheftchen namens Autonomie. Und setzte noch eins drauf: „Stalin war so ein Typ wie wir, nicht nur, daß er sich als Revolutionär verstanden und gelebt hat, sondern er war im wahrsten Sinne des Wortes auch ein Typ!“

Stalin, ein Fall für die Männergruppen-Therapie? Schenkte man Fischers opportunem Herrenfeminismus von damals Glauben, nach dem alles Böse auf Erden vom Manne und seiner angeborenen Täterrolle herstamme, das „Schwarzbuch des Kommunismus“ müßte „Schwanzbuch des Kommunismus“ heißen. Denn auch Stalin war zuallererst Schwanzträger, während der eineiige Hitler mit seinem Desinteresse am Untenrum wie im „Schwarzbuch“ fein raus wäre.

Kenntnis des hübschen Fischer- Zitats verdanke ich meinem ehemaligen Titanic-Kollegen Christian Schmidt. Der hat ein Buch geschrieben, das nach einem weiteren Zitat von Fischer heißt: „Wir sind die Wahnsinnigen...“ – Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang“ (Econ, 39.80 DM), in dem der politische Blablaismus von Fischer und seinen Freunden Daniel Cohn-Bendit, Matthias Beltz, Thomas Schmid und anderen auf mehr als 300 Seiten minutiös bis manisch ausgebreitet wird.

Christian Schmidt hat eine Menge Meterial zusammengetragen; schade nur, daß er, ehemals Mitglied der Liga gegen den Impressionismus, ohne Distanz zum Thema schreibt, sondern aus dem stets unangenehm deutlichen Wunsch heraus, die erfolgreichere Konkurrenz wenigstens nachträglich und wenigstens moralisch zur Strecke zu bringen. So offenbart sein Buch nicht nur viel berufsmäßig-opportunistische Blindlaberei von Cohn-Bendit und Komplizen, sondern eben auch Christian Schmidts Perspektive: Es ist der inferiore Blickwinkel des klassischen Verlierers.

Im Spiegel erschien jetzt ein Verriß des Buches, regelrecht eine Verteidigungsschrift für Joschka Fischer. Der – namentlich nicht genannte – Spiegel-Autor langt kräftig zu, nennt Schmidt „verbittert“ und „hämisch“, bescheinigt ihm „Neid“, „Eifersucht“ und „denunziatorischen Impuls“, steigert sich in seinen Anwürfen zu „steindummem Unflat“ und zu „Petz-Prosa“ und spottet: „Der ordentliche deutsche Linke bleibt auf seinem Standpunkt, bis ,Essen auf Rädern‘ kommt.“

Nicht alles daran ist falsch; interessant ist aber, wer da so gewaltig für Fischer und seine Leute in die Bresche springt. Und siehe, die Nachfrage beim Spiegel ergibt: Einer der beiden Autoren des Textes heißt Reinhard Mohr, ist ein ehemaliger Frankfurter Sponti und noch heute, wenn auch auf der anderen Straßenseite, derselbe Gesinnungspolizist wie einst. Mohr, ein paar Jahre jünger als seine großen Freunde, ist eine Art assoziiertes Nachwuchs-Anhängsel der Fischer-Gang und, anthropologisch gesprochen, zwischen den Alpha- und Beta-Häuptlingen eher ein Gamma-Männchen.

Beim Kumpeldienst hat der in der Frankfurter Hierarchie eher unten einsortierte Mohr aber auch sich selbst nicht vergessen wollen: „Die beißendste Kritik“, schreibt Mohr als Schlußpointe, „kam stets aus den eigenen Reihen – Matthias Beltz macht bis heute bestes Kabarett daraus.“ Da wird es dann sehr armselig. Denn Texteschreiber für Beltz und sein „bis heute bestes Kabarett“ war lange Zeit – einmal dürfen Sie raten – Reinhard Mohr. Wiglaf Droste

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