: Hasch-Depp contra Onanierverbot
■ Günter Amendt kam nach Bremerhaven, und es war fast wie damals: Die Revolution wurde in der Kneipe geboren
Im blauen Dunst (wenn heute auch nur noch wenige rauchen) und im Schummerlicht spricht der Hamburger Publizist Dr. Günter Amendt über die Zeit, in der er jung gewesen ist. Der Verein „Literatur und Politik“ hatte den Alt-68er ins „Cafe de Fiets“ geladen, mitten an Bremerhavens Szene-Meile. Eng gequetscht saßen viele Alte und viel weniger Junge zusammen, um von Amendt zu hören, was von damals geblieben ist.
Der Sozialwissenschaftler, der Jugend- und Drogenforscher, hatte 1970 mit der provozierenden „Sex-Front“ die sexuelle Befreiung zum Schlachtfeld erkoren, auf dem die muffigen Autoritäten einer völlig erstarrten Gesellschaft geschlagen werden sollten. Amendt („Ich kann nur für mich sprechen“) findet das Medien-Revival der 60er Jahre „zum Kotzen“, er will mit Mystifikationen und Verzerrungen aufräumen. 1968, sagt er, das waren nicht nur die „richtigen, geraden und wichtigen Fragen“, das waren nicht nur Karl Marx und Demonstrationen, das war auch ein antiautoritärer „schräger Blick“, es war der Einbruch der neuen Rock-Kultur und der neuen Drogen. „Ordnung, Disziplin, Sauberkeit“, diese Sekundärtugenden der Alten, begannen sich aufzulösen.
Vorsicht, Vorsicht, warnen zwei Jüngere, die mit Amendt am Pult sitzen. Sven Albers, Politik-Referendar in Bremerhaven, und Kerstin Schmidt, nach dem Ende ihrer gerade abgeschlossenen Ausbildung arbeitslose Lehrerin, sind beide um 1968 geboren. Beide haben die 68er in der Schule kennengelernt. Als Lehrer, sagt Kerstin Schmidt, zeigten sie zu wenig Konturen, und sie waren nicht verläßlich. Heute fühlen sich die beiden 30jährigen in den Schulen der 60jährigen als „exotische Wesen“ betrachtet. Das freundliche Duzen könne über bestehende Hierarchien nicht hinwegtäuschen. Amendt hakt nach, er will es genauer wissen.
Sven Albers stört sich an der Rechthaberei der Alten, die immer mit ihren eigenen Erfahrungen auftrumpften („wenn Ihr damals ...“) und die nachwachsende Jugend und ihre Kulturen stets für unpolitisch hielten. Hier stimmt der Alt-68er zu: Wer immer alles mit damals vergleiche, sei auf dem falschen Trip. Seine wichtigste These ist erfrischend nüchtern: „Gemessen an den Ansprüchen, die wir hatten, sind wir gescheitert.“
1968, das sei natürlich keine Revolution gewesen, sondern eine kulturrevolutionäre Jugendbewegung, die die Gesellschaft vor dem Verrosten bewahrte und einen Modernisierungsschub auslöste. Es gab nicht nur „die Zeit des großen Leidens“, die Solidarität mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und gegen den Vietnamkrieg, es gab auch Euphorie und Begeisterung, lustbetonte, hedonistische Züge. „Wir wollten diese Gesellschaft grundsätzlich verändern, und ich bin froh, dabei gewesen zu sein.“
Ein junger Mann und eine junge Frau melden sich zu Wort. Sie fühlen sich in ihrem politischen Engagement nicht mehr ernst genommen. („Du stellst dich irgendwohin, verteilst Flugblätter, und keine Sau will sie haben.“). Sie vermissen die Auseinandersetzung zwischen den Generationen, und außerdem: „Wir brauchen irgendwann einen Job. Ich muß meinen Hintern retten, und wenn ich zu laut schreie, wird mir das schwer gemacht.“ Von der 68er-Bewegung sähen sie nur noch die letzten Scherben und nicht die große Sache.
Es sind diese Scherben, die Amendt vehement verteidigt. Zum Beispiel Kiffen. Eltern, die ihren Kindern heute das Kiffen verbieten, hätten ihre eigene Jugend, ihre eigenen Ablösungsprozesse, vergessen und verdrängt. Was seinerzeit das Onanierverbot, sei heute das Kiff-Verbot. Jetzt wird es endlich kontrovers: Eine Lehrerin weiß nicht, wie sie mit ihren kiffenden Schülern umgehen soll, „die von einem Lachanfall in den nächsten fallen“, ein anderer wirft Amendt vor, er betreibe „Ersatz-Schnuller-Reklame“. Amendt, der zuletzt ein vielbeachtetes Drogenbuch veröffentlicht hat („Ecstasy & Co.“), dreht richtig auf: Den Vorwurf „Hasch-Deppen“ kenne er aus alten Apo-Zeiten, er sei von der Alk-Fraktion gekommen. Er plädiert nicht für unkontrollierten Drogenkonsum, er fordert ein offenes Gespräch – gerade in der Schule –, denn Cannabis sei für viele Jugendliche die Droge der ersten Wahl. „Über Drogen können Sie mit Jugendlichen nur noch reden, wenn Sie erkennen: Drogen nehmen macht Spaß, und Drogen nehmen ist gefährlich. Mit dem drohenden Verbotsfinger werden Sie nichts erreichen!“
Die Debatte rauscht von Lust- zu Life-Style-Drogen und verführt Amendt zu dem schönen Bonmot: „Die Autoritäten brachen auch zusammen unter dem bekifften Blick, den wir auf sie warfen.“ Woraufhin eine Altersgenossin entgegnete, der Bundeskanzler sei für sie immer eine Witzfigur gewesen, aber sie hätte nie gekifft. Erstaunlich: Cannabis machte aus dem nüchtern bilanzierenden Gespräch eine hitzige Debatte, und am Ende stand fest, daß Günter Amendt als Fachmann für Drogen wiederkommen muß. Ob ihm als Gegner der Alk-Fraktion dann die Kneipe recht sein wird? Hans Happel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen