piwik no script img

Alles wegschmeißen!

■ Ein TV- oder Radiogerät mit angeblich nagelneuer Technik kann im Nu Elektroschrott sein, wenn die Technik floppt. Und keiner zahlt

„Umständehalber zu verkaufen“, hieß es Ende Juni in einer Internet-Newsgroup im Internet. Ein Cleverle wollte einen „DSR-Referenzempfänger (Neupreis: 20.000 Mark)“ für 3.900 Mark loswerden. Trotz des großzügigen Preisnachlasses standen die Chancen für das Verkaufsvorhaben zu diesem Zeitpunkt nicht mehr besonders gut: Eben hatte die Telekom bekanntgegeben, was schon seit Jahren erwartet wurde: das digitale Satellitenradio DSR wird zum Jahresende ausgeknipst. Keine zehn Jahre wurde die Technik alt. 1989 auf der Funkausstellung eingeführt, sollte DSR den „Quantensprung in der Radioübertragung“ bringen, wie es damals hieß: Radio in CD-Qualität via Satellit und über die Kabelnetze.

Das Schicksal von DSR könnten bald immer mehr Medientechnologien teilen. Was eben noch als kommendes Ding hochgejubelt wird, ist schon bald reif für den Schrott. Mit der Abschaltung von DSR stellt sich nun erstmals in Deutschland ein Problem, das in den kommenden Jahren öfter auftreten dürfte: Welche Rechte haben Hörer und Zuschauer gegenüber den Rundfunkanbietern und Sendebetreibern, wenn die aus ökonomischen Kalkül entscheiden, plötzlich einen Dienst einzustellen? Anders als etwa beim langsamen Übergang von der schwarzen Schallplatte zur CD werden beim Abschalten einer solchen Netztechnologie die Abspielgeräte in den Wohnstuben von einer Sekunde auf die andere zu Elektronikschrott.

Diese Frage könnte bald fast jeden Fernsehzuschauer betreffen: Dann, wenn – wie derzeit in verschiedenen Arbeitsgruppen diskutiert – spätestens im Jahr 2010 die Ausstrahlung von analogem Fernsehen eingestellt werden soll. Wenn dann nur noch digital gesendet wird, zeigen alle herkömmlichen Fernseher nur noch Schnee.

Doch das Thema könnte schon viel früher wieder virulent werden: derzeit tobt der Wettstreit um die beste Übertragungsnorm für die künftige Radioübertragung über die traditionelle Antenne. Die süddeutschen Rundfunkanstalten setzen auf das Ausstrahlungssystem DAB, das einst speziell für die Radioübertragung entwickelt wurde. Im Norden will man das Radio lieber zusammen mit der wohl ohnehin zur Einführung anstehenden Digitalfernsehtechnik DVB-T einführen – das sei aussichtsreicher. Wegen dieses Streits ist denkbar, daß im Jahr 2004 einige hunderttausend Käufer von DAB-Geräten dumm dastehen, weil sich DVB-T durchgesetzt hat.

Unter Medienrechtlern und unter den DSR-Benutzern im Internet läuft nun die Diskussion, inwiefern den Hörern Schadenersatz für die nun wertlosen Empfangsgeräte zusteht. Die Telekom will – so ihr Sprecher Seibel – „in Härtefällen“ einigen DSR-Nutzern eine Kompensation zahlen. Die Rede ist aber von „weit weniger als 100 Mark“ und das allenfalls für Geräte, die nach 1996 gekauft wurden.

Juristen sehen die Ansprüche auf Schadenersatz eher skeptisch. „Es ist unwahrscheinlich, daß die Hörer klagen können, denn sie hatten ja keine unmittelbare Vertragsbeziehung zur Telekom“, meint etwa Wolfgang Schulze vom Hamburger Hans-Bredow-Institut. Er verweist allerdings auf eine Sondersituation, die so in Zukunft nicht mehr auftreten wird: „Bei Einführung von DSR war die Telekom noch Sendemonopolist mit hoheitlichen Aufgaben. In zukünftigen Fällen wird sie als privatisiertes Unternehmen nur noch ein Sendebetreiber unter vielen sein.“ Ob das aber für den Erfolg einer Klage ausreichen wird, ist also eher zweifelhaft.

Geräteindustrie und -handel machen sich indes Sorgen, was sie den Käufern überhaupt noch andrehen sollen: Verbraucher dürften sich aus Angst vor Flops in Zukunft noch mehr als bisher zurückhalten, in Wiedergabegeräte für neue Technologien zu investieren (und selbst daß der Erwerb von Geräten mit herkömmlicher, analoger Technik irgendwann riskant sein wird, dürfte sich schnell herumsprechen). Nach einem schnellen Durchbruch für digitales Radio und Fernsehen sieht das unter diesen Umständen nicht gerade aus.

Die Gründe für das Scheitern von DSR dürften auch für die Einführung künftiger Techniken lehrreich sein: Nicht nur brauchte man für den Radioempfang die sündteuren eigenen Receiver. Auch mußte man seine Antenne auf den ansonsten fast programmlosen Satelliten Kopernikus ausrichten. Programmlich gab's in der Einführungsphase nicht viel mehr als einen Einheitsbrei aus allen ARD- Klassiksendern, die auch am Boden kaum über zwei Prozent Einschaltquote hinauskommen. Trotzdem gingen immerhin 200.000 Geräte für bis zu 2.500 Mark über den Ladentisch. Die Telekom wollte am Ende auf den Kabelkanälen, über die DSR sendete, lieber mehr TV-Programme übertragen. Angesichts der schwachen Nachfrage sei der Betrieb nicht mehr wirtschaftlich. Wohl dem, der sich auf sein Röhrenradio verläßt. Jürgen Bischoff

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen