: Querdenker ohne Verankerung
Gesichter der Großstadt: Michael Diehl, Fraktionssprecher für die Bündnisgrünen in Treptow, streitet offensiv für Toleranz und Kultur und gegen rechte Normalität im Osten ■ Von Marina Mai
Michael Diehl setzt die Brille auf die Stirn und tritt ans Mikrophon. Er beginnt seine Rede leise, aber bestimmt. „Woran machen Sie eigentlich Integrationswillen fest?“ will der Treptower Fraktionssprecher der Bündnisgrünen von seinem SPD-Vorredner wissen. SPD und CDU haben im September vergangenen Jahres in der Bezirksverordnetenversammlung beantragt, die Wagenburg in der Lohmühlenstraße zu räumen, weil deren BewohnerInnen nicht integrationswillig seien. „Sind für Sie nur solche Menschen integrierbar, die in festen Häusern wohnen?“ Diehls Stimme wird lauter. Er warnt davor, „Integration an äußeren Merkmalen festzumachen“.
Dem studierten Arabisten und Soziologen bereitet es „eine gehörige Portion Frust“, daß es so schwierig ist, Toleranz gegenüber anderen Lebensformen und gegenüber Menschen anderer Herkunft im Ostteil der Stadt überzeugend rüberzubringen. Alternative Politik im Osten, das sei wie Schwimmen gegen den Strom. Wenn das Gespräch auf rechte Tendenzen kommt, wird Diehl, der in Treptow ein „Bündnis gegen rechts“ mitgegründet hat, nachdenklich. Für einfache Lösungen von rechts wären Menschen im Osten empfänglicher, so seine Meinung. „In der DDR gab es zu wenige Angebote, Meinungen zu erarbeiten.“
Diehl ist dreizehn Jahre nach Kriegsende geboren, doch der Krieg und der linke Widerstand gegen Hitler waren am Diehlschen Küchentisch ständig präsent. „Mein Lehrer war durch die Hitlerjugend autoritär geprägt, mein Schuldirektor verkörperte hingegen einen aufklärerischen Stil.“ Der Vater einer achtjährigen Tochter bedauert, daß viele LehrerInnen aus der DDR sich heute in der Schule nicht mehr zu antifaschistischen Themen äußern.
Während seines Studiums in Leipzig suchte Diehl im Studentenclub „Moritzbastei“ intellektuelle Freiräume. Dort veranstaltete er Diskussionsrunden zu Umweltthemen, über Homosexuelle und später zu Glasnost und Perestroika. 1987 bekam der kritische SED-Genosse Probleme: Seine Dissertation über ein entwicklungspolitisches Thema warf er hin, weil sein Doktorvater seine Auseinandersetzung mit dem Stalinismus nicht akzeptieren konnte.
Was folgte, war nicht ohne: Michael Diehl, der intellektuelle Querdenker, der heimlich Rudolf Bahro gelesen hatte, wurde Mitarbeiter des Zentralrates der FDJ. Zu verlockend war die Aussicht, seiner zweiten Frau nach Berlin zu folgen und endlich nach Asien und Afrika reisen zu dürfen. Der Arabist wurde beim DDR-Jugendverband für internationale Verbindungen in die Dritte Welt zuständig: Er betreute ausländische Studenten in der DDR, bereitete Konferenzen und Weltfestspiele mit vor. Ein Stück Weltoffenheit erkaufte er mit Funktionärsmief und politischen Weisungen. Vom Fall der Mauer erfuhr Michael Diehl in Namibia. Der FDJ-Mann kontrollierte als Mitglied einer UNO-Beobachtergruppe den Ablauf der ersten nationalen Wahlen. „Kurz zuvor hatte ich für die Legalisierung des Neuen Forum unterschrieben“, sagt er.
1990 kam er durch Tochter Mara in die Kommunalpolitik. „Aus unserem idyllischen Baumschulenweg war mit der Maueröffnung an der Sonnenallee eine Straße mit Dauerstau geworden.“ Es war fast unmöglich, mit dem Kinderwagen die Straße zu überqueren. Michael Diehl avancierte zum Sprecher einer Bürgerinitiative „Leben in Baumschulenweg“ und kümmerte sich um Ampeln und Radwewge. Diehl gehörte damals der PDS an, um deren Erneuerung er sich bemühte. „Ich referierte beispielsweise über die Demokratieauffassungen von Rosa Luxemburg. Doch ich mußte feststellen, daß viele Genossen Entwicklungen nicht nachvollziehen konnten, die ich schon zu DDR-Zeiten hatte.“ 1991 trat Diehl aus der PDS aus.
Beruflich hangelte sich der Arabist von einer ABM-Stelle über zeitweise Arbeitslosigkeit und Honorartätigkeit zur neuen ABM- Stelle. So hat er wissenschaftlich über Zionismus und das Israelbild der ostdeutschen Jugendlichen publiziert. Einen großen Teil seiner Zeit verbringt Michael Diehl seit 1992 in der Bezirksverordnetenversammlung. Die Bündnisgrünen baten ihn, zu kandidieren. Als Fraktionssprecher einer Vier-Leute-Fraktion arbeitet er zu vielen Themen: Kultur, Umwelt und Naturschutz, Frauenfragen, Sport bis hin zur Flüchtlingspolitik. Das muß er weitgehend allein beackern. Im Osten fehlt den Grünen das alternative Milieu. Diehl ist davon überzeugt, daß die Grünen sich im Osten nur profilieren können, wenn sie sich pragmatisch um die Alltagsprobleme der Leute kümmern.
Auf Individualismus und ein Stück intellektuelle Freiheit legt Diehl auch gegenüber den Bündnisgrünen Wert: Er ist der Partei nie beigetreten und läßt sich auf Parteiveranstaltungen nur blicken, wenn er eingeladen ist. Bei den bürgerbewegten Treptower Grünen wird Diehls fehlende Verankerung auch kritisch gesehen. Der 40jährige wirkt nachdenklich: „Ich war schon einmal in einer Partei. Und das hat mir nicht so großen Spaß gemacht.“
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