■ H.G. Hollein: Was gut ist
Die Frau, mit der ich lebe, hätte in Dürregebieten ein große Zukunft. Sie weiß nämlich, wann der nächste Regen kommt. Ich kenne die Zeichen mittlerweile leider auch. Am Anfang steht jedesmal ein plötzlich auftretender, vager Heißhunger, gefolgt von einem versonnenen Blick und der rituellen Frage: „Willst du nicht eben noch mal losgehen?“ Wenn ich dann die Schwelle überschreite, öffnet auch noch der blaueste Himmel mit beiläufiger Promptheit seine Schleusen. Die Folgen sind in mehrfacher Hinsicht mißlich. Erstens werde ich naß, zweitens trachte ich danach, die Wege möglichst kurz zu halten. Mit anderen Worten: Ich bin nicht gerade motiviert, der Gefährtin anspruchsvollen Geschmack ein Übermaß an Beschaffungsenergie zu widmen. Zumal die Wunschliste der Gefährtin mit „Was Gutes!“ schon als überaus elaboriert gelten muß. Wenn ich dann triefend vor den Auslagen stehe, offenbart sich zudem eine nicht unbeträchtliche, sozialisationsbedingte Distanz zwischen meinem eher ländlich-provinziellen und dem vollendet urbanen Gaumen der Gefährtin. Mir etwa ist eine Leberwurststulle, übergossen mit dem unvergleichlichen „Grafschafter Goldsaft“ – ein in meiner ostwestfälischen Heimat ebenso prägnant wie appetitanregend „Zapp“ genannter Rübensirup – allemal ein Hochgenuß. Der Gefährtin weniger. In all meiner Not eignet mir jedoch ein radikales Improvisationsgeschick. Hier ein gebratenes Hühnerbein, dort eine – sei's drum – noch nicht ganz reife Avocado, zwei Laugenbrezel und – die Gefährtin hält auf ihre Figur – ein paar Riegel Yogurette. Dazu noch eine verheißungsvolle Miene, und der Rückweg kann angetreten werden. Nach anfänglich bekundetem Erstaunen – „Du Ärmster bist ja ganz naß“ – schlägt der Empfang dann allerdings in oft unschöne Töne um. Nur gut, daß es unterwegs einen Blumenladen gibt, der für meinesgleichen auch immer ein paar Flaschen gekühlten Champagner bereithält.
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