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Traumhaus mit fließendem Wasser und Angelmöglichkeit Von Ralf Sotscheck

Irgendwie muß man die Zeitungen ja unter die Leute bringen. Manch englisches Boulevardblatt versucht es mit beigelegten Bingokarten, andere verteilen Rubbellose an die Leserschaft, während die seriöseren Blätter wie Guardian und Independent wochenlang numerierte Rabattmarken abdrucken. Hat man alle Nummern beisammen, kann man verbilligte Flugreisen oder Hotelübernachtungen abstauben, falls man „flexibel“ ist – wenn einem also Urlaubsziel und Reisezeit völlig schnurz sind.

Die Daily Mail, gewiß kein seriöseres Blatt, will nun alle übertrumpfen. Die Zeitung verlost ein „Traumhaus am Meer“. Die alte Mühle aus dem 16. Jahrhundert steht bei Ilfracombe im Norden der Grafschaft Devon. „Ein glücklicher Leser könnte jeden Morgen vom sanften Geräusch der Wellen geweckt werden“, lockt der kleinformatige Schmutzkübel und verspricht einen „atemberaubenden Blick auf das Meer“. Atemberaubend ist er allemal, doch mit dem Blick alleine ist es nicht getan: Das Meer kommt des öfteren vorbei und wirft einen Blick ins Haus.

Die Vorbesitzer hatten das Erdgeschoß dem Wasser überlassen und waren in den ersten Stock gezogen, nachdem die Wellen die Fenster eingeschlagen hatten und Stunden später mit den Zimmertüren auf Nimmerwiedersehen verschwunden waren. Immer wenn es stürmisch wurde, und das ist an Englands Südwestküste nicht gerade selten, stand das Meer bis Hüfthöhe im Haus. Die wenigen Möbel, die bis dahin alle feuchten Attacken überstanden hatten, wurden 1996 von Lili, dem Wirbelsturm, zu Kleinholz gemacht. „Ich habe das Meer im Blut“, sagte die Besitzerin einem Fernsehreporter damals und fügte hinzu: „Leider habe ich es auch im Wohnzimmer.“ Ein Wasserbett habe sie sich ganz anders vorgestellt.

Eigentlich wollte die nasse Frau ihr Teilzeitaquarium verkaufen, sie hatte es für rund 600.000 Mark annonciert. Nachdem über die hauseigene Variante von fließendem Wasser und Angelmöglichkeit aber ausgiebig im Fernsehen berichtet worden war, mußte sie das Cottage vom Markt nehmen: Zwar pilgerten Busladungen von Neugierigen zum berühmten Haus in Nord-Devon, doch niemand dachte im Traum daran, dort einzuziehen. Das Haus war praktisch unverkäuflich.

Aber verlosbar. Die Daily Mail erwarb das Gemäuer zum Sonderpreis. Freilich mußten die Zeitungsleute das Badehaus ausreichend tarnen, damit man es nicht gleich erkannte. So warteten sie einen sonnigen Tag ab, schleppten bunte Sommerblumen und Grünpflanzen an, vergruben sie mitsamt den Töpfen im Boden und nagelten Efeu an die Mauern. Dann stellten sie ein glücklich aussehendes junges Paar davor, dazu ein fröhliches Kleinkind und einen niedlichen Cockerspaniel – fertig war das Foto vom Traumhaus am Meer. Die Nachbarin konnten sie damit nicht täuschen: „Da würden niemals Blumen wachsen. Das Meer hätte ihnen in Nullkommanix den Garaus gemacht.“

Der Daily Mail ist das egal. „Die Mühle steht seit 400 Jahren und hat allen Elementen stets getrotzt“, sagte Herausgeber Lawrence Sear. „Selbst der Wirbelsturm von 1996 konnte ihr nichts anhaben.“ Und was ist schon ein ertrunkener Leser im Vergleich zu Tausenden, die das Blatt in der Hoffnung auf den Hauptgewinn kaufen?

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