: Stilbrüche und Ironie
Berlinale für Tanzprofis: Das heute zum zehnten Mal stattfindende Tanzgruppenfestival „Tanz im August“ ■ Von Katrin Bettina Müller
Schauspieler haben die Filmindustrie, Musiker den Plattenmarkt. Doch der Tänzer, der noch immer auf zwei Beinen daherkommt, wird wohl auch weiterhin auf ein Publikum angewiesen sein, das sich höchstpersönlich auf die Socken macht. Stars bringt der Tanz kaum hervor.
Gegen dieses Defizit helfen nur Festivals, und Berlin leistet sich eins seit zehn Jahren: „Tanz im August“. So bekannt wie die Berlinale sei man zwar noch nicht, begann Nele Hertling, Intendantin und unermüdliche Agitatorin, ihre diesjährige Pressekonferenz, aber wo immer Tanzprofis zusammentreffen, hat an Renommee gewonnen, wer nach Berlin eingeladen war.
Seit das Festival 1988, als sich Berlin als Kulturhauptstadt Europas feierte, begründet wurde, gehört die Verbindung von Gastspielen, Trainingsklassen und Workshops zum Programm, um auch langfristig der schwachen Infrastruktur des Tanzes auf die Beine zu helfen. Jahr für Jahr beklagte Nele Hertling, keine großen Compagnien einladen zu können, bis 1996 erstmals die Komische Oper ihr Haus (in der Sommerpause) zur Verfügung stellte. Es ist ein kleiner Triumph für Hertlings zähes Fordern, daß „Tanz im August“ dieses Jahr mit Gastspielen des Nederlands Dans Theaters in alle drei Opernhäuser einziehen darf, wenn auch die Tanzwerkstatt weiterhin den Etat zusammenbetteln muß. Dieses Jahr sprang im letzten Moment die Hauptstadtkulturförderung mit knapp einer halben Million ein, denn der vom Senat bewilligte Etat (280.000) hätte niemals für die 19 eingeladenen Programme gereicht.
Daß sich die Ballette der Opernhäuser und die Compagnien der Freien Szene nicht mehr über einen unüberbrückbaren Graben hinweg anstarren, gelang in Berlin erst mit Jahrzehnten Verspätung; die Mauer mußte fallen, bevor Gespräche an einem runden Tisch in Gang kamen. Das Nederlands Dans Theater (NDT) dagegen verdankt seinen Weltruhm der Tatsache, mit dieser Entwicklung schon 1959 begonnen zu haben. In den siebziger Jahren prägten besonders die Choreographen Jiri Kylián und Hans van Manen das NDT, denen über die Einbeziehung moderner Techniken eine große Differenzierung ihres Vokabualars gelang. Inzwischen gehören drei Compagnien unter das Dach des NDT. In der Komischen Oper werden sich zuerst 4 der „Top Performer“ vorstellen, einer 1991 gegründeten Abzweigung für Tänzer über vierzig, die mit Stilbrüchen, Ironie und Schauspiel arbeiten (10. bis 11. August). „The young and dynamic Dance Company“ verspricht über die Bühne der Staatsoper Unter den Linden zu fegen (22.–23.), und die größte Company, mit dem bescheidenen Untertitel „State of art in contemporary dance“, zeigt Kyliáns letztes Stück, „One of a Kind“, in der Deutschen Oper (27.–29.).
Ganz andere Anliegen verfolgen die Teilnehmer von „Solomania“, dem zweiten Schwerpunkt im diesjährigen Programm. Den Leitern der TanzWerkstatt, Ulrike Becker und André Theriault, erschien in den letzten zwei Jahren die konzentrierte Form des Solos als Feld, auf dem am meisten versucht und gewagt wird. Im Theater am Halleschen Ufer beginnt Emio Grecos mit „Rosso“ (aus der Reihe rosso, bianco, extra dry), einem Stück über gestörte Kooperationen zwischen Kopf und Körper, über Kontrolle und Überwältigung (8.–10.). Im Hebbel-Theater zeigt der Bremer Urs Dietrich die Uraufführung von „An der Grenze des Tages“, das an jenem Punkt beginnt, wenn nur noch Erinnerung das Ich zusammenhält und allein die Zeit in die Zukunft läuft. Im Podewil wird eine Solostrecke von fünf Performern, unter denen Mark Tompkins, Jerôme Bel und Benoit Lachambre schon zu alten Bekannten von „Tanz im August“ zählen, von einem Vortrag von Johannes Odenthal, ehemals Redakteur von tanz aktuell und heute am Haus der Kulturen der Welt, begleitet (19.–21.).
Zwischen den NDT-Gastspielen und Solomania ist das Programm mit vier Compagnien dünn besetzt. Stephen Petronio, den man als Solist auch zehn Jahre nach seinem Auftritt in der Akademie noch in Erinnerung hat, zeigt mit seiner Company aus New York ein erstes abendfüllendes Stück: „Not Garden“; denn während in Europa Tanz oft wie ein Theaterstück strukturiert wird, arbeiten die Amerikaner mehr wie bei der Zusammenstellung eines Konzertes aus verschiedenen Stücken. Für „Not Garden“ hat Petronio eine Reise von der Dunkelheit ins Licht, die an die Höllenkreise Dantes angelehnt ist, angekündigt (Hebbel-Theater, 7.–9.). Castafiore aus Paris haben sich der Jagd nach Fantomas verschrieben, Gelabert-Azzopardi aus Barcelona kommen mit surrealen Bildern. Wo man sich der Unversehrtheit des Körpers nicht mehr sicher sein kann und die Heftigkeit der Aktionen jede Form sprengt, arbeiten Les Ballets aus Gent, die mit Kindern und einem Bach-Ensemble auf die Bühne kommen.
Vom 7. bis 30. August, Karten im Hebbel-Theater, Podewil und an allen Vorverkaufsstellen
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