: Alles beim alten
Zu der Gala zum 10. Geburtstag des Schmidt Theaters kamen natürlich alle, die dort auch sonst gern gesehen sind ■ Von Christiane Kühl
Eine Million Besucher hatte das Schmidt Theater in den zehn Jahren seiner Existenz, und die Hälfte, so schätzte Corny Littmann im groben ganz richtig, hatte sich am Samstag abend zur Open-air-Feier auf dem Spielbudenplatz versammelt. Bereits Freitag waren dort zur großen Geburtstagsparty eine Bühne sowie diverse Bier- und Wurststände aufgebaut worden – das mußte man wissen, denn sehen konnte man zumindest letztere vor lauter Amüsierwilligen nicht. Durchkommenwar schwierig, auch für die, die gerne pünktlich zur Gala das von aufgeregten Ordnern abgeschirmte Theater erreichen wollten. Identity-check am Eingang – das war 1988 noch nicht abzusehen gewesen.
Doch wer zu den 250 geladenen Happy Few zählte, die passieren durften, mußte sich Foyer kurz die Augen reiben: Hatte man draußen auf einer Großbildleinwand Corny Littmann drinnen auf der Bühne sitzend gesehen, begrüßte einen drinnen nicht etwa Corny Littman, sondern ein Fernseher, der das Draußen zeigte, das auf einer Videowand die Bühne drinnen zeigte. Damit muß man im Theater erst mal fertig werden. Genauso damit, daß die ersten Worte, die eine echte Person zum Publikum richtete, „Wer jetzt nicht sitzt, muß gehen“ waren. Für die Live-Übertragung der Gala auf N3 wurde eine freundliche para-militärische Hektik verbreitet, damit sich um Punkt 22 Uhr alle Augen auf einen kleinen Fernseher rechts über der Bühnen richten konnten, wo eine adrette NDR-Ansagerin das Publikum herzlich Willkommen hieß. Dann endlich setzte die Band ein.
„Sperma ist widerlich und sieht auch nicht gut aus“ stimmten Herrchens Frauchen in guter alter unappetitlicher Tradition des Hauses an, und das glückliche Publikum klatschte sofort im Takt. Tradition stand beim Jubiläum natürlich hoch im Kurs, weshalb denn auch alle, die das Haus an der Reeperbahn geprägt haben, an diesem Abend auf die Bühne kamen. Angefangen mit Marlene Jaschke, die zwar mittlerweile von Eierlikör auf Batida de Coco umgestiegen ist, ansonsten aber ganz die alte war und nicht nur von Wellensitich Waltraud berichten konnte, sondern auch plausibel darlegen, warum die Queen Mother 14 Hundejahre alt ist. Polizist Herr Holm kam vorbei und notierte Schuppenausfall beim Publikum, Hella von Sinnen sang von ihrem Comig-out, Mägädäm beschwor die dänische Moorlandschaft, und das Schmidt-Hausensemble gab Kostproben aus seinen verschiedenen Produktionen. Stammgäste wie Cora Frost und Eddy Winkelmann wurden live von der Spielbudenbühne eingeblendet, und Littmann moderierte wie immer im albernen Jackett mit kurzen Hosen und Fliege .
Alle waren sie also da, aber Stargast des Abends war klar Lilo Wanders, die alias Ernie Reinhardt das Haus einst mitgegründet hatte: ganz Grand Dame und doch Matrosenmädchen im zweiten Frühling. Da war selbst Heintjes „Mama“-Auftritt vergessen, der doch zahlreiche Omatränen zu Hause an den Bildschirmen beschworen haben mag. Hier lag sowieso das Geheimis des Abends: Während das Schmidt Theater zehn Jahre alt wurde, war das Publikum um 25 Jahre gealtert, die Künstler aber genau dieselben geblieben. Für eine Geburtstagsfeier geht das in Ordnung; für die beschworenen kommenden zehn Jahre möchte man allerdings wünschen, daß das Publikum wieder jünger wird und die Künstler auch mal ihrer Zeit voraus.
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