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Platzverweis am Potsdamer Platz

Der Sicherheitskoordinator der größten Baustelle Europas mußte seinen Hut nehmen, weil er wegen des baulichen Termindrucks die Arbeitssicherheit gefährdet sah. Bauherr Daimler-Benz gibt sich ahnungslos  ■ Von Vera Gaserow

Der 2. Oktober dieses Jahres soll ein Tag von nationaler Bedeutung werden. Monate vor dem Regierungsumzug probt die „Berliner Republik“ schon mal ihren Einstand. 2.500 geladene Gäste und 700 Journalisten werden auf den Potsdamer Platz strömen, wenn die Daimler-Benz-Tochter „debis“ dort den fristgerechten Bauabschluß zelebriert. Einer wird kaum unter den Geladenen sein – Jürgen Rubarth, dreieinhalb Jahre lang freiberuflicher Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator auf der debis-Baustelle. Ende Juni hatte er vor einem Auditorium aus Fachkollegen über Mißstände auf Europas größter Baustelle referiert. Sechs Tage später wurde sein Vertrag bei einer von debis beauftragten Ingenieurfirma fristlos gekündigt. Rubarth mußte seinen Schreibtisch räumen – und erhielt Baustellenverbot.

Rubarth hatte in seinem Vortrag kritisiert, die Baustelle am Potsdamer Platz, auf der zur Zeit rund 4.000 Arbeiter gleichzeitig beschäftigt sind, gerate unter dem Zeitdruck des Einweihungstermins zunehmend außer Kontrolle. Schwere Unfälle seien nicht mehr auszuschließen, warnte Sicherheitskoordinator Rubarth.

Die Kritik des nunmehr des Platzes Verwiesenen kratzt empfindlich an dem Hochglanz-Image von Berlins Vorzeigebaustelle. Denn Bauherr debis hatte sich Arbeitsschutz und korrekte Bezahlung auf die Fahnen geschrieben. Lange bevor jetzt auch in Deutschland eine EU-Richtlinie zur Arbeitssicherheit in Kraft getreten ist, hatte debis Sicherheitskoordinatoren für seine Baustelle eingesetzt. Gemessen an der Größe des Projekts hat es während der vierjährigen Bautätigkeit bislang auch relaitiv wenig Unfälle gegeben. Zwei Arbeiter verunglückten tödlich. Rund 1.000 verletzungsbedingte Behandlungen registrierte die baustelleneigene Sanitätsstation im vergangenen Jahr.

„Im Vergleich etwa zu den Regierungsbaustellen steht debis gut da“, erkennt auch „Nestbeschmutzer“ Rubarth an, „doch unter dem Termindruck ist eine Situation entstanden, die für mich nicht verantwortbar war“. Immer mehr Fremdfirmen mit ungelernten Arbeitern würden angeheuert. Die Leute kämen ohne Arbeitsgerät und ohne Arbeitsschutzkleidung. Oft bastelten sie sich die Gerüste aus Getränkekästen und Baumaterialen oder lösten aus Unwissenheit die Halterungen von 20 Meter hohen Gerüsten. Wenn er Sicherheitsmängel moniert habe, sei drei Stunden später wieder alles beim alten gewesen, berichtet Rubarth.

Im Winter habe er im strömenden Regen „lauter blaue Müllsäcke in der Baugrube herumlaufen sehen“. In Ermangelung von Arbeitskleidung hatten sich polnische Arbeiter Plastiktüten übergestülpt. Rubarth drohte mit Baustopp. Tage später schauten ihn die Arbeiter grimmig an. Die Kosten für Sicherheitsschuhe und Regenjacken hatte die Firma ihnen vom Lohn abgezogen. Eines morgens, schildert der geschaßte Sicherheitskoordinator weiter, turnte ein portugiesischer Arbeiter unangeseilt auf einem der Kräne herum. Der Mann, zuvor von seiner Firma ohne Bezahlung auf die Straße gesetzt, drohte sich aus 75 Meter Höhe vom Kran zu stürzen. Die Firma ignorierte den Mann in luftiger Höhe. Erst nachdem Rubarth dem Arbeitgeber 800 Mark Entlohnung abgerungen hatte, kam der Arbeiter zitternd herunter.

Nicht nur der Arbeitsschutz, auch der gesetzlich und tariflich vorgeschriebene Mindestlohn wird auf der Musterbaustelle Potsdamer Platz durch ein Geflecht von Sub-Subunternehmen unterlaufen. Hotelverdächtige Kosten für schäbige Containerunterkünfte und tägliche Arbeitszeiten von 14 Stunden reduzieren die festgelegte Bezahlung auf Hungerlöhne von fünf Mark die Stunde und darunter. Auch deutsche Arbeiter, bestätigt die IG Metall, gehen zum Teil mit nur zehn Mark brutto die Stunde vom Potsdamer Platz. Einige werden jeden Tag von ihren Firmen aus zweistündiger Entfernung nach Berlin gekarrt, um Unterkunftskosten und tägliche Auslösegebühr zu sparen.

Bauherr debis zeigte sich gestern von der Entlassung des Sicherheitsfachmannes überrascht. Dessen fristloser Rausschmiß sei nicht auf debis-Betreiben geschehen. Die Vorwürfe des Sicherheitskoordinators a.D. wies debis-Sprecherin Ute Wuest von Vellberg gestern zurück, räumte aber ein: „Bei einer Baustelle dieser Größenordung stoßen Sie auf organisatorische Grenzen. Wir können die vielen Firmen und Subunternehmen nicht kontrollieren.“ Profitieren aber kann debis sehr wohl von ihnen.

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