: Keine fremden Bilder im Kopf
Wie die junge Regisseurin Sandra Strunz zwischen Milchschaumschlagen und Kaffeetassenholen ihre eigene Sprache findet ■ Von Birgit Glombitza
Einen liederlichen Lebenswandel hatte der. Ein Drogenschlunz und Rezeptfälscher war er. Einer mit hitziger Sehnsucht, aber trägem Herzen, dieser Friedrich Glauser. Hier mal eine Frau, da mal ein Echo. Und wenn ihm jemand sagt, daß er ihn mag, ja, dann ist er gleich weg. Hinter die Pyramide auf der Bühne, und ein anderer Glauser kommt von der Seite. Und noch einer und noch ein paar mehr. Ein Glauser streichelt seinem Roman ganz zärtlich über den Kopf und erklärt dem eigenen Lieblingsgedicht seine tiefe Verbundenheit. Und wenn ihm jemand sagt, daß er ihn mag, ja dann mag dieser Glauser den auch. Wenigstens einen Augenblick oder eine Nacht – „warum ist nur alles, was man sich wünscht, so sentimental“.
Manchmal ist es auch ganz schlicht und ergreifend. Traurig und wüst. Verspielt und komisch. Wie Glauser selbst, das Bühnenstück über die Schweizer Antwort auf George Simenon, den Kriminalautor Friedrich Glauser. Unter der Regie von Sandra Strunz präsentierte die Zwieback Company ihr Kaleidoskop eines Literaten erstmalig im April in der Kulturwerkstatt Kaserne Basel. Eine Collage aus Text- und Briefzitaten, die Glausers mit Drogen gedopte Einbildungsgabe und seinen sozialen Autismus immer wieder am Feuerstein gut dosierter Ironie zum Glühen bringt. Im November ist das Stück auf Kampnagel zu Gast. Glauser nimmt die inszenatorischen Konzepte von Strunz- Diplomarbeit, Meine Frau hieß Zwieback – Das Leben des Armand Schulthess, die im April 1997 ihre Premiere auf Kampnagel hatte, auf und pointiert in schnellen perspektivischen Wechseln den Scheitel zwischen schizoider Tragik und anrührender Komik in den Lebensstationen der seltsamen Privatapostel und aberwitzigen Gedankenspringer.
Vom Bühnenkonzept zum Kaffeetassenholen. Sandra Strunz' Gedanken springen mit ihr zwischen Umzugskisten in Wohnzimmer und Küche. Die 30jährige Regisseurin setzt sich wieder, sehnt sich nach dem „kindlichen, unverstellten Blick auf die Dinge“ und schaut eine Weile auf das Fragezeichen ihrer Haarsträhne. Mit 17 stand sie zum ersten Mal auf der Schulbühne. Sie studierte Kulturpädagogik in Hildesheim, brach ab, nahm an Schauspiel- und Regie-Workshops in der Spielstatt Ulm teil. Regie – „das war's. Hier entdeckte ich meine eigentliche Kraft“. Sie assistierte Stefan Bachmann an der Berliner Volksbühne, begann ein Regiestudium bei Christof Nel an der Hamburger Uni. Von ihm lernte sie „Schauspiel mit Subversionscharakter“. Einen „eher therapeutischen Umgang mit Schauspielern“, den sie in eigenen Arbeiten jedoch schnell wieder fahren ließ. „Ich bin nicht mehr so autoritär, gebe nicht mehr vor, genau zu wissen, wo das Ganze hinführen soll“. Experimentierfreude statt tiefenpsychologisch herausgepopelte Ich-Exzesse. Mit den Regisseuren der 68er, Strunz' Geburtsjahr, hat sie nichts gemein. Und reines Botschaftstheater ist ihr zu „reaktionär und retardierend“. Eindeutige Haltungen, dazu gehört in den verwirrten 90ern „-ne Menge Mut, aber auch etwas Charismatisches wie bei Schlingensief, sonst wird es schnell peinlich und stumpf“.
Einfache Geschichten auf der Bühne – „das ist auch aktuell, weil es der Sehnsucht der Menschen heute nach Schlichtheit entgegenkommt“. Kein spröder Formalismus und auch kein multimediales Ausrufezeichen. „Genügend andere stellen Fernseher und Mikrophone auf die Bühne.“ Und die Biographien, die Strunz und ihr Ensemble auswählen, zerlegen auch ohne Videobespielung jede Wahrheit in einen Mikrokosmos aus Vorläufigkeiten. Strunz und der Zwieback Company geht es um die Verwandlung, die Bewegung, den Rhythmus der Erinnerungen. Das erinnert manchmal an Marthaler – „der hat wirklich seinen Zeitfluß und seine Sprache gefunden“. Doch Sandra Strunz fahndet nach eigenem Vokabular. Und gerade bei Proben kann sie „keine fremden Bilder im Kopf gebrauchen“. Hier legt sie Wert auf Ensemblearbeit, die Co-Autorenschaft jedes Spielers und jeder Spielerin. Doch drei Wochen vor einer Premiere ist „Schluß mit der Demokratie“.
In ihren Stücken werden keine Vorkenntnisse über den elenden Zustand der Welt umschmeichelt. Da wird gestaunt. Über die Magie des Banalen oder über die Eigendynamik in der Assoziationspolka. Der dritte Teil ihrer Biographien-Trilogie ist bereits in Arbeit. Zusammen mit dem Dramaturgen Bernd Stegemann sitzt Sandra Strunz an der Bearbeitung von Agota Kristofs Romanen Das große Heft, Der Beweis und Die dritte Lüge. Arbeitstitel der Bühnenfassung: Ich und mich. „Der Stoff ist sooo traurig. Ich könnte mich jedesmal klitschnass heulen. Noch fehlt mir der Abstand, um in all der Tragik auch das Komische herauszufiltern“, erklärt sie und drückt so energisch das Sieb ihres Milchschaummachers auf und nieder, als verfange sich schon etwas Brauchbares in seinem Draht. Ein wahrhaft akrobatischer Gedankensprung zum Beispiel oder ein seltsam blitzendes Fragment aus einem fremden Leben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen