: Berti gehen die Deutschen aus
■ Ein Plädoyer für freie Nationalelfwahl
Ronaldo also hat gesagt, er habe sich, obwohl krankgeschrieben, beim WM-Finale höchstselbst eingewechselt und sei nicht von seinem Eigentümer, der Firma Nike, gezwungen worden. Soll man das glauben? Unbedingt! Auch hierzulande kommen neuerdings ähnlich autonome Handlungen vor, allerdings umgekehrt: Die Spieler wechseln sich selbst aus. Scharenweise. Aus Bertis Bubenversammlung. Wegen Berti. Nach Thon, Klinsmann, Kohler, Lodama und Reuter jetzt Häßler und Schatzileinchen Möller („Möchte Abstand gewinnen“). Teilweise begründen sie ganz offen: Nicht mehr mit diesem Bundestrainer.
Der Geruch von Revolution durchweht die Stadien der Republik. Stell dir vor, Berti macht Lehrgang, und keiner geht hin. Berti spielt gegen Malta, und keiner will aufn Platz. Offenbar haben nicht nur Mannschaften einen Berti-Faktor, sondern das Bertihafte ist auch ansteckend. Also meiden sie die Nationalmannschaft wie eine Leprösenversammlung. Rette sich, wer kann. Wer soll nachfolgen? Deutsche gibt's ja kaum noch in der Liga. Vergangene Woche: Acht Ausländer in Wolfsburgs Startformation. Am Samstag begann Stuttgart mit neun. Daraus folgt: Jeder Ligakicker mit deutschem Paß ist jetzt automatisch Berti-Mann. Zumindest Kandidat: Breitner redet Strunz zurück. Lauterns ausgewechselter Rösler soll auf dem Sprung stehen. Barbarez, zwei Tore: na, ein Thema? Wie wärs mit Hinz und Kunz und Hunz und Kinz zum neuen Messias, dem Vierfingerfäustling Effe.
Ob man eine Elf zusammenbekommt? Kaum. Also müssen jetzt sogar Ausländer in die Inländerversammlung, womit „die Multikultigesellschaft Einzug in die Nationalmannschaft halten“ wird (Jörg Wahnterror). Was mit dem clintonösen Vielfrauenfreund Sean Dundee noch mißlang, soll jetzt mit dem Semifranzosen Neuville, dem Ex-Uerdinger Mustafa Dogan und vor allem dem Deutschbrasilianer Paul(o) Rink aus Bayerkusen klappen. Die deutsche Sprache ist nicht nötig, bester Beweis: Grammatikgenie Vogts selbst. Rink lernt schon die Nationalhymne, wundert sich aber noch über den Begriff Vaterland. In Malta wird er davon singen und darf dabei nicht an Rio denken. Ist schon ein absurdes Theater. Alles nur wegen des Auslaufmodells Nationalmannschaften und der blutsbedingten Herkunftzusammensetzung ihrer Akteure.
Warum klagt sich eigentlich kein Spieler bosmanartig in eine andere Auswahlelf? Ein einziger Musterprozeß, und Liechtenstein könnte sich eine Weltelf zusammenkaufen. Was sind verstaubte Fifa-Statuten und überkommene Denkstrukturen gegen freie Arbeitsplatzwahl und globale Marktwirtschaft? Litmanen für Holland, Zidane nach England, Thon für Tonga, Klinsmann in den Iran. Und die Deutsche Bank kauft uns den Ronald(o). Dazu als Coach irgendwen. Ohne jeden Faktor. Bernd Müllender
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