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Rotweinglas, kein Lächeln, böseböse

Auf seiner Platte „Radio Maria“ schmarotzt Marius Müller-Westernhagen von der zufällig klerikalen Nachbarschaft und beginnt prompt zu glauben: daß er die Ruhrgebietshymne neu erfinden könnte  ■ Von Benjamin v. Stuckrad-Barre

Pralinenschachtel“ sagen Buchhändler zu so was. Gold, lila, Schmuckrand, Lack – obszöner Prunk. Verkauft in Fülle wegen der Hülle. Eine neue Platte von Westernhagen ist in etwa so interessant wie eine Polemik in der taz zum Thema Deutschrock oder doofe Künstler, die zu laut vorgehen, schon wieder und immer noch. Oder beides auf einmal, und er hat ja angefangen. In beiden Fällen kann es ja gar nicht ums Geld gehen. Eine Westernhagen-Platte wirklich anzuhören und den Haß zurückzuhalten oder ihn rauszulassen, ganz privat, und sich dann aber wirklich fragen, woher er kommt. Das ist Arbeit. Und die Musik nämlich auch.

Anstrengung, Preßrock. Peter Maffay reist kitschig „One world“ raunzend um die Welt und sammelt mit dem Kompletismus eines Volkshochschulklassensprechers Folklore zusammen. Das schon ist nicht sehr angenehm. Westernhagen macht sich aber nicht mal mehr auf die Suche, zitiert bloß noch Studioprofis nach London, denen für einen ordentlichen Tagessatz alles wurscht ist, und die dann kompetent, aber uninspiriert ein beispielloses Schlichtrockalbum zusammenrumsen, ganz so wie die Lotto- Show von Günter Jauch: handwerklich korrekt, das allemal und selbstverständlich, schön die Lücke gesehen, und dann voll rein da, aber wenn man mal ehrlich ist – ist man aber ja nicht.

Erdacht, oder sagen wir: notiert wurde diese Sammlung von Kleinheiten in Westernhagens Kloster in Umbrien. Man ist fassungslos über diese kalkulierte Ansatzlosigkeit – „Radio Maria“ heißt die Platte, weil ein klerikaler Sender in Kloster-Nähe so heißt, und der, also stellen Sie sich sowas vor, der kam bei ersten Tonproben plötzlich ins Kellerstudio gefunkt. Heißt es. So was!

Um eine Art von Konzept zu behaupten, hieß die erste Single natürlich gleich „Jesus“. Daraufhin gab es einen absolut wahnsinnigen Pseudoskandal, der BILD einige Tage durch den Sommer half, und Westernhagen halt auch. Ein Pastor meldete sich und schimpfte, ein anderer besänftigte und dann auch noch mal Marius selbst mit dem Standardsatz aller Prominenten, die statt „Kirchensteuer sparen“ lieber sagen: „Ich glaube, daß es so was wie Gott gibt, aber mit der Institution Kirche habe ich so meine Probleme.“

Vor zehn Jahren besang MMW schonmal eine Platte mit der Ernte dieses denkbar fruchtlosen Ackers, „Halleluja“ hieß die und ein Lied darauf „Chor der Blöden“; beim Jesus-Skandal hatte man es plötzlich wieder im Ohr. Zu Beginn dieser Praline nun fiept es ein bißchen mittelwellig, wegen Radio. Dann Amen und Bluesrock und Funkschrott und Rock'n'alles. „Keine Anbiederung an Trends“, verkündet stolz die Plattenfirma, und genauso ist es.

Was allerdings so ehrenwert daran sein soll, komplett ignorant und ohne jeden Ehrgeiz so eine Platte zu, ja, erarbeiten, das wäre interessant zu erfahren. Zur Ablenkung ist die Pralinenschachtelbeipackbroschüre in der Mitte nochmal mit Seitenlaschen teuerteuer extraausgestattet, Schöndruckfotos, Hornbrille, Rotweinglas, kein Lächeln, böseböse. Bibel?

Irgendeinen Grund wird es ja geben, noch mit fünfzig „Rosamunde geiles Biest / Ohne Höschen nach Paris“ zu gröhlen, dazu das Barpiano klimpern zu lassen, wie im Western von, eben, gestern. Solche Lieder werden auf Stadtfesten intoniert, morgens um elf Uhr vom Bierwagen herunter, wenn die Leber wieder an die Arbeit muß, und der Sänger halt auch. Nun finanziert das Lied einerseits den bestimmt teuren Klosterausbau in Umbrien, was absolut in Ordnung geht als Entschuldigung, aber vielleicht ist ja das Kloster auch irgendwann einmal fertig, und Herr Westernhagen hört mal etwas länger Radio Maria, statt leise zu drehen und dann das immergleiche Garnichts aufzudrehen, das ihm höchstselbst, ihm und sonst gar keinem entfleucht, denn „Musik & Texte: Westernhagen“. Alle. Und das hört man. Das Kloster ist gut bewacht. „Deine Mutter sagte Klaus / Zieh dir bloß die Schuhe aus!“ Warum, ja warum fand man solche Reime mal gut? Waren es die Jeans – die eigenen und die des Sängers?

Klaus Lage und Grönemeyer schrieben in frühen Jahren Ruhrgebietshymnen, Herr Westernhagen schreibt sie jetzt. Im letzten Jahr sang Wolfgang Petry solches – wenn schon, denn schon – so überzeugt & überzeugend scheiße, daß nun Westernhagen etwas dumm dasteht, wenn er dröhnt: „Ich rieche den Dreck“, und wie schön das ist, wieder da und immer noch, sowieso nie richtig weg, logisch, und jubelnde Streicher dazu, und mein Revier und meine Güte.

So als würde Grönemeyer jetzt plötzlich singen „Frauen nehmen aber auch in den Arm“. So geht es doch nicht. Von null auf eins, die Praline. So geht es doch. Wieder mal, „wieder hier / in meinem Revier / ich rieche den Dreck / ich atme tief ein / und dann bin ich mir sicher / wieder zu Hause zu sein“ – vielleicht auch ein Lied über die deutschen Charts.

Marius Müller-Westernhagen: „Radio Maria“ (Wea)

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