: Geheiligter Wucher in Neapel
Der Kardinal von Neapel soll an schwunghaften Geschäften mit Riesenzinsen beteiligt gewesen sein. Seine Kollegen verteidigen ihn, der Vatikan hält sich bedeckt ■ Aus Neapel Werner Raith
Wucher, so stellt es das bis heute gültige Dekret des Laterankonzils von 1938 fest, sei „eine der verwerflichsten Sünden überhaupt“. Denn der Halsabschneider beutet doch meist „die Ärmsten aus, Menschen, die nicht mehr aus noch ein wissen“. Daher schlössen sich „Personen, die Geld zu unerfüllbaren Bedingungen verleihen, selbst von der Gemeinschaft aus“, in schweren Fällen sei ihnen von der Kirche sogar die „Teilnahme an den Sakramenten zu versagen und ebenso nach ihrem Hinscheiden die feierliche Totenmesse.
Gewichtige Worte. Nun allerdings hat es einen aus der obersten Hierarchie jener Kirche erwischt, die den Wucher so entschieden verurteilt hat. Kardinal Michele Giordano, Erzbischof von Neapel, soll nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft von Lagonegro im der benachbarten Region Basilicata an illegalen Zinsgeschäften beteiligt gewesen sein. Als deren Hauptdrahtzieher haben die Behörden den Bruder des Seelenhirten, Mario Lucio Giordano, ausgemacht. Letzterer wurde bereits Mitte vergangener Woche verhaftet. Am Wochenende nun führte die Staatsanwaltschaft Haussuchungen beim Kardinal und in dessen Amtsstuben durch: Geldbewegungen in großer Höhe waren auf seinen Konten festgestellt worden.
Illegaler Geldverleih zu Wucherzinsen ist in Italien und speziell im Süden des Landes eine der einträglichsten Einkommensquellen des kriminellen Untergrundes. Die andauernde Wirtschaftskrise und hohe Arbeitslosigkeit haben diesen seit jeher bestehenen Zustand noch verschärft. Mehr als vier Millionen Menschen, darunter über 100.000 Geschäftsleute, sind nach Polizeiangaben Opfer von Wucherern, das Umsatzvolumen der Branche beläuft sich auf umgerechnet jährlich mehr als zehn Milliarden Mark.
Den erklecklichen Wucherkuchen teilen sich an die 8.000 illegale Geldverleiher. Die meisten verlangen Tageszinsen von mindestens vier, manche auch bis zu acht Prozent. Nach zwei bis drei Wochen ist so die doppelte Summe des geschuldeten Betrags fällig. Nur selten nehmen Wucherer dingliche Sicherheiten zur Aufrechnung für die geschuldeten Beträge entgegen. Meist schicken sie schon wenige Stunden nach Fälligkeit Einschüchterungskommandos. Mehr als hundert Selbstmorde aus Angst vor Repressalien hat die Polizei im ersten Halbjahr 1998 gezählt.
Daß sich Kardinal Giordano seit jeher ein wenig zu nah an kriminellen Zirkeln bewegt, flüsterte man sich in Neapel schon lange zu. Nur selten kam aus seinem Amt eine Mahnung gegen die organisierte Kriminalität. Denoch verteidigen ihn hochrangige Kurienvertreter, wenngleich der Vatikan offiziell keine Stellungnahme dazu abgegeben hat. Die Kardinäle Angelini und Casoria würden sogar die Hand für seine Unschuld ins Feuer legen.
Damit sollten sie allerdings eher vorsichtig sein. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatten zwei andere Kardinäle für einen wegen betrügerischen Bankrotts in den USA verhafteten sizilianischen Bankier, Michele Sindona, eine Bürgschaft leisten wollen. Nur eine Intervention des damaligen päpstlichen Außenministers Casaroli hatte dies im letzten Moment noch verhindert. Wenig später zeigte sich die enge Verbandlung des Bankers mit der Mafia. Als dies ruchbar wurde, starb er, nach Italien ausgeliefert, ganz „klassisch“ im Gefängnis an vergiftetem Kaffee.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen