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Arafats Mann fürs Grobe

Dschibril Radschub, Chef des palästinensischen Geheimdienstes, würde den PLO-Chef gern beerben. Im Umgang mit Gegnern ist er nicht zimperlich  ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen

„Entweder wir erhalten bis Montag eine zufriedenstellende Antwort, oder wir lösen das Parlament auf“, sagt der palästinensische Abgeordnete Ghazi Hanania. „Eine solche Behandlung können wir uns nicht gefallen lassen“, fügt er kopfschüttelnd hinzu. Fünf Abgeordnete des palästinensischen Parlaments und mehrere Journalisten sind in der vergangenen Woche von Sicherheitskräften des palästinensischen Geheimdienstes geschlagen und mißhandelt worden. Hatem Abdul-Kader, Abgeordneter aus Jerusalem, traf ein Schlag hinters Ohr. Er wurde bewußtlos. Der Fotoapparat eines AP-Fotografen wurde zertrümmert, Filme konfisziert. Mehrere der malträtierten Abgeordneten und Journalisten mußten im Krankenhaus behandelt werden. Ihr Vergehen: eine „unangemeldete Demonstration“ vor dem Haus der Familie Awadallah in al-Bireh bei Ramallah.

Der Hintergrund der Geschichte ist delikat. Am 15. August gelang dem 25jährigen Imad Awadallah die Flucht aus einem palästinensischen Gefängnis in Jericho. Festgenommen worden war er am 29. März 1998 unter dem Vorwurf, den Bombenbauer von Hamas, Mohedin al-Scharif, getötet zu haben. Eine Woche nach der erfolgreichen Flucht des Hamas-Häftlings verhängte der palästinensische Geheimdienstchef im Westjordanland, Dschibril Radschub, eine „Ausgangssperre“ für die Familie Awadallah. Die Familie durfte weder Besucher empfangen noch das Haus verlassen. Das Dilemma des Geheimdienstes: Er konnte auch fünf Monate nach der Verhaftung keinen Beweis vorlegen, daß Imad Awadallah tatsächlich in den Mord involviert war. Palästinensische Menschenrechtsorganisationen bezeichneten die Inhaftierung als illegal und forderten seine Freilassung.

Nach der Prügelorgie der Sicherheitskräfte forderte das Parlament den sofortigen Rücktritt von Geheimdienstchef Radschub. Doch Radschub, der mehrere Jahre in israelischen Gefängnissen inhaftiert war, gilt als Günstling Arafats und als möglicher Nachfolger des kränkelnden PLO-Chefs. Abgeordnete fürchten, unter Radschubs Regie werde es eine Militär- oder Geheimdienstdiktatur geben. Der Konflikt zwang Arafat, am vergangenen Donnerstag persönlich nach Ramallah zu reisen, um die Gemüter wieder zu beruhigen. Er ordnete die Einsetzung einer Untersuchungskommission an und befahl am Freitag, die Belagerung der Familie Awadallah in al- Bireh wieder aufzuheben.

In einer ersten Stellungnahme in der vergangenen Woche nannte Radschub die Forderung der Abgeordneten „unangemessen“, weil eine Untersuchung seiner eigenen Verantwortlichkeit für den Zwischenfall nicht erfolgt sei. Zwei Tage später entschuldigte er sich allerdings in aller Form und versprach eine Bestrafung der Verantwortlichen.

Die Geschichte hat exemplarischen Charakter. Es geht um nicht weniger als Demokratie oder Diktatur in der palästinensischen Gesellschaft. Das Makabre daran ist, daß Radschub kein PLO-Rückkehrer ist, sondern ein „Einheimischer“. Eine Mehrheit im palästinensischen Parlament will auf jeden Fall verhindern, daß er eine Position erlangt, die ihm diktatorische Vollmachten gewährt. Arafats PLO-Organisation al-Fatah forderte in einer Erklärung den Rücktritt von Radschub.

Die Gemengelage im palästinensischen Parlament bleibt unübersichtlich, ebenso die in der Exekutive. Als wahrscheinlich gilt, daß das Parlament der Einsetzung eines Untersuchungskomitees zustimmen und sein Ultimatum zurücknehmen wird. Dschibril Radschub dürfte im Amt bleiben. Noch nie hat Arafat auch die Schändlichsten seiner Getreuen gefeuert. Aber weder er noch Arafat werden aus dieser Affäre unbeschadet hervorgehen. Und bei alledem ist da noch die – bis jetzt unbestätigte – Vermutung von Hamas, daß Imad Awadallah unter der palästinensischen Folter gestorben und seine vermeintliche Flucht nur ein Vertuschungsmanöver der Behörden ist.

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