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■ Wenn Hobby und Beruf sich treffen, geht's auch schon malMutterseelenalleine auf die Aleuten

Was tut ein promovierter Geologe an einer Universität wie der TU München, wenn er eine interessante Besiedlungstheorie für Alaska entwickelt hat, die sich allerdings nur dort überprüfen läßt? Im Normalfall sicherlich nicht folgendes: sich in Amerika ein seetüchtiges Kajak bauen lasen, sich für die Überfahrt über den Atlantik auf einem Krabben-Kutter verdingen und anschließend alleine zu einer monatelangen Expedition in die gefährlichsten Gewässer der Welt starten.

Was zunächst reichlich verschroben klingt, hat der „verrückte Professor aus Memmingen“, der Geologe Dr. Gernot Spielvogel, tatsächlich getan. Daß ihn ein Lokalreporter einmal so bezeichnet hat, stört den Wissenschaftler nicht. Auf seine Reisen unter zum Teil widrigsten Umständen ist der 48jährige richtig stolz. Gernot Spielvogel sitzt im Wohnzimmer in seinem Haus in Memmingen und hat einen Stapel Bücher vor sich aufgebaut – allesamt von ihm verfaßt. Doch es sind nicht etwa verkopfte Geologiebücher, sondern spannende Abenteuerschilderungen. Zum Beispiel seine Reisebeschreibung über das Alaska-Abenteuer. Dreieinhalbtausend Kilometer ist er quer durch die nordamerikanische Wildnis gepaddelt, mit einem Kajak. „Am Anfang, so etwa 750 Kilometer lang, war meine Frau dabei. Den Rest, quer durch ganz Alaska, bin ich dann alleine gefahren, das waren wirklich 2.000 Meilen Freiheit.“

Gefährlich wurde es an einem Abend, als das Lagerfeuer noch loderte und er sich gerade in sein Zelt zurückgezogen hatte. „Man hat mir gesagt, die Lachswanderung sei vorbei, die Bären auch schon weg. Da dachte ich mir, ich könnte endlich mal wieder Feuer machen, Bush-cooking.“ Gernot Spielvogel nimmt das Buch in die Hand und erzählt weiter. „Ja, und da hat mich dann eben ein Bär besucht.“ Ins Zelt habe der plötzlich hineingeschaut. „Wir sind beide erschrocken. Ich hatte zwar sicherheitshalber das Gewehr im Anschlag, aber ich hab' ganz ruhig auf den eingeredet, wie auf einen Hund. Dann ist er einfach wieder verschwunden.“ Auch Wilderer habe er getroffen, erzählt der promovierte Meeresgeologe, Whiskey-Schmuggler und Krabbenfänger. Doch das war auf einer anderen Tour, seiner One-Man-Aleuten-Expedition.

Gernot Spielvogel hat nämlich eine interessante Theorie entwickelt. Er habe in der Uni vor dem großen Globus gestanden und sei in Gedanken seine Alaska-Tour noch einmal nachgegangen. Dabei entstand seine ganz eigene Kontinentalbrückentheorie, die Theorie einer Verbindung zwischen Alaska und Asien über die Inselkette der Aleuten. „Mir waren bei meinen Touren die unterschiedlichsten Indianertypen aufgefallen, und ich dachte, das muß doch eine Ursache haben. Als ich da vor dem Globus stand, fiel es mir zum ersten Mal richtig auf, daß sich die Aleuten brückenartig zwischen Asien und Amerika hinziehen. Die Lücken sind relativ klein. Zwischen den Inseln besteht Sichtkontakt.“ Die verbleibenden Lücken wiederum wären leicht mit Flößen oder kleinen Booten zu überbrücken gewesen, auch vor Tausenden von Jahren schon, schloß der Meeresgeologe.

Für ihn wurde es immer wahrscheinlicher, daß Alaska nicht ausschließlich über die in der Eiszeit trockenliegende Beringstraße besiedelt wurde, sondern auch über die Aleuten. Und weil er genau diese Möglichkeit nachweisen wollte, befuhr er diese Strecke selbst. Doch bevor es soweit war, mußte er sich erst durch hartes Training fit machen. Er fuhr im Schirokko-Sturm vor Griechenland gegen meterhohe Wellen an, strampelte mit dem Fahrrad durchs Gebirge und heuerte schließlich für die Überfahrt auf einem amerikanischen Krabben- Kutter an. „Das war ein ganz tolles Erlebnis. Sie steigen von der Universität um auf ein Fangschiff, das ist eine ganz andere Welt.“ Jeden Tip der Krabbenfischer, sagt der Wissenschaftler, habe er gierig in sich aufgesogen. Schon alleine die Steuerung eines Schiffes sei in dieser Gegend der Welt ausgesprochen schwierig. Hinzu kam dann auch noch die Arbeit. Der Krabbenfang sei zumindest für mitteleuropäische Landratten etwas beinahe Unvorstellbares.

Die gefährlichsten Gewässer der Welt befuhr er mutterseelenalleine. Es waren lebensgefährliche Situationen, in die sich Gernot Spielvogel begab. Von einer zehn Meter hohen stehenden Welle erzählt er, von gefährlichen Strömungen und von seiner längsten Etappe, als er einmal drei Tage lang paddeln mußte wie ein Besessener. Wenn er heute sein eigenes Buch liest, das er nach seiner Tour geschrieben hat („Anangula, Abenteuer Aleuten“, erschienen im Verlag Langen-Müller), kommt es ihm immer noch reichlich abenteuerlich vor. Überraschend, daß sich der Geologe trotzdem nicht als klassischer Abenteurer sieht.

Aber die Weite und der Nervenkitzel lassen ihn nicht mehr los. Schon im nächsten Sommer soll eine neue große Aleuten-Expedition starten. Mit Wissenschaftlern aus anderen Disziplinen. So sollen beispielsweise Archäologen feststellen, ob es nicht menschliche Funde aus der Zeit von vor 15.000 Jahren gibt – entlang dieses Pacific Ring of Fire, entlang des Abschnittes der Aleuten-Kette. Gernot Spielvogel ist sich sicher, daß sie etwas finden, das seine Theorie auch wissenschaftlich untermauern wird. Klaus Wittmann

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