: Korsettstangen in Multimediabetrieben
■ Entgegen dem herrschenden Vorurteil kehren Software- und Multimediafirmen zu Bewährtem zurück: Immer mehr Mitarbeiter, die zuvor freischaffend waren, bekommen feste Arbeitsverträge. Kontinuität dient
Eine Gespenstersuchmaschine ist ein komplizierter Apparat. Eine Mischung aus Tauchsieder, Videokamera und Werkzeugkasten. Einige hundert Teile zeigt der Bauplan, den Gabrielle Dobak-Hachtmann gezeichnet hat. Der absonderliche Detektor fährt bald als Einrichtungsgegenstand eines U-Bootes mit, mit dem ein Englisch sprechender Kapitän durch die Weltmeere schippert.
Die Geschichte des Seemanns und seiner Bekanntschaft mit einem kleinen, Deutsch sprechenden Jungen wird demnächst auf CD-ROM gepreßt und von einem Verlag als spielerische Computerlernhilfe für den Englischunterricht vertrieben. Dobak-Hachtmann, bei der Multimediafirma BVM in Moabit als Art-directorin beschäftigt, zeichnet mit der Hand und auf Papier die detailreichen Bilder, die schließlich die Basis für das Lernprogramm abgeben.
Seit Februar 1998 arbeitet die in Australien aufgewachsene Engländerin bei BVM – zunächst auf Honorarbasis, seit einiger Zeit aber mit befristetem Arbeitsvertrag, der laut BVM-Geschäftsführer Axel von Maydell faktisch einem festen Anstellungsverhältnis gleichkommt. BVM steht damit stellvertretend für eine Reihe von Betrieben der Software- und Multimediabranche, die schon wenige Jahre nach ihrer Gründung die Nase voll haben von flexiblen, ungeregelten Arbeitsverhältnissen und ihre Leute lieber mit stabileren Verträgen versehen.
Laut gängiger Meinung gehören die jungen Dienstleistungsunternehmen – BVM zum Beispiel entstand 1995 – zu den Vorreitern der Deregulierung. Was in der Praxis meist nicht mehr stimmt. Denn schnell kehren die Turnschuhbetriebe zu Bewährtem zurück und bemühen sich um die Strukturierung der Beschäftigung entlang bekannter Muster – mit Modifikationen freilich.
„Die Betriebe ziehen Korsettstangen ein“, weiß Unternehmensberaterin Brigitte Stieler-Lorenz von a & o-research, und Anna Hansen, Sprecherin der Multimedia-Firma Pixelpark, bestätigt: „Diese Tendenz ist vorhanden.“
Ausschlaggebend dafür ist einerseits die persönliche Situation der Beschäftigten. Auch hochflexible und ultradynamische MultimediaarbeiterInnen werden älter. So muß Zeichnerin Dobak-Hachtmann, 37 Jahre, ihre viereinhalbjährigen Zwillinge erziehen. Da können ein festes Einkommen und einigermaßen planbare Arbeitszeiten von acht bis neun Stunden täglich nicht schaden. Außerdem „ist man irgendwann müde“, sagt die Engländerin, „und mag sich nicht ständig aus dem einen Projekt ins nächste bewerben“. Kontinuität der Arbeit, intensive Beschäftigung mit ihr und Qualität gingen Hand in Hand.
Aber auch in den jugendlichen Betrieben mit partnerschaftlicher Tünche über den Besitzverhältnissen hat der Unternehmer im Zweifel das letzte Wort. Doch BVM- Chef von Maydell stellte die Zeichnerin fest an, weil er Interesse an einer langfristigen Zusammenarbeit mit seinen Kunden hat und ihnen nicht ständig neue MitarbeiterInnen vor die Nase setzen will. Im übrigen „wollen wir gute Leute binden“, denn an qualifizierten MitarbeiterInnen herrsche augenblicklich durchaus Mangel. Gerade in dieser Situation, meint Beraterin Stieler-Lorenz, könnten es sich die „lernenden Unternehmen“ nicht leisten, selbst herangezüchtetes Know-how zu verlieren, denn noch immer spielen spezielle Fähigkeiten eine größere Rolle als ausbildungsmäßig erlerntes Standardwissen.
Während bei BVM mittlerweile 15 von 25 Beschäftigten mit festeren Verträgen arbeiten, ist es beim Software-Haus Klopotek und Partner, das unter anderem Programme für Verlage herstellt, fast die gesamte 130köpfige Belegschaft. Ulrich Klopotek, Chef des 1992 gegründeten Betriebs, nennt unter anderem ähnliche Gründe wie BVM. Je seriöser, größer, umsatzstärker und wichtiger die Kunden würden, desto mehr Kontinuität und Stabilität müßten auch die MitarbeiterInnen der Software- Firma gewährleisten. Wo es um Millionen geht, tauscht man ungern auf halber Strecke die Projektleiterin aus.
Was BVM-Chef von Maydell als „faktische Festanstellung“ bezeichnet, entspricht jedoch beileibe nicht dem tariflichem Standard, den man aus gewerkschaftlich gut organisierten Branchen wie der Metallindustrie kennt. Zeichnerin Dobak-Hachtmann bekam zunächst einen auf ein Jahr befristeten Vertrag, der ihr einen Monatslohn zwischen 6.000 und 7.000 Mark brutto garantiert. Anschließend wird ein zweiter, nochmals einjähriger Vertrag angepeilt, der eine Gehaltserhöhung vorsieht. Nachdem dann der gesetzliche Rahmen der Befristung ausgeschöpft ist, steht die Verhandlung über den unbefristeten Vertrag inklusive Gehaltshöhe an.
Warum dieses doch recht komplizierte Procedere? „Wir sehen, ob sich die Leute mit dem Betrieb mitentwickeln und ihre Position ausfüllen“, sagt BVM-Geschäftsführer von Maydell. Klingt gut, und seine Art-directorin nickt zustimmend. Anders ausgedrückt heißt das: Der Druck auf die Mitarbeiterin bleibt erhalten. Wenn ihr Engagement nachläßt, könnte bald Finito sein – zumal kein Betriebsrat existiert, der die Kündigung verhindern würde.
Allerdings hat Dobak-Hachtmann auch die die Möglichkeit, von sich aus zu gehen, wenn BVM in dritten Jahr zu wenig zahlen will. Denn ihr Druckpotential erscheint augenblicklich ebenfalls nicht gering. Tatsächlich hat es der junge Betrieb bislang aber vermocht, seine Leute zu halten. Von 15 Beschäftigten, die seit 1995 hinzugekommen sind, ist nur eine Mitarbeiterin gegangen.
Auch bei der Multimediafirma Echtzeit überwiegt Beschäftigung in stabilen Verhältnissen. 14 der zwischen 20 und 32 Jahre alten MitarbeiterInnen arbeiten auf unbefristeten Verträgen und nur sechs als Freie. Trotzdem hält Geschäftsführerin Claudia Alsdorf traditionelle Anstellungsverhältnisse nicht für das beste Mittel, um Personal zu binden. Mit der gesetzlichen Sozialversicherung zu locken, habe angesichts der Zukunft der Rentenfinanzen immer weniger Sinn. Sie plädiert deshalb eher für die Beteiligung guter MitarbeiterInnen am Vermögen der Firma.
In ähnlicher Richtung denkt auch Ulrich Klopotek, der sein Unternehmen demnächst an die Börse bringen und dabei möglicherweise Aktien an Beschäftigte verkaufen will. Und auch der Digitalbetrieb Art + Com arbeitet am Börsengang unter Beteiligung des Personals. So nimmt die Strukturierung und Stabilisierung von Beschäftigungsverhältnissen in den modernen Branchen doch eine andere Richtung als in den traditionellen Industrien und Verwaltungen. Feste Angestellte nehmen partiell die Funktion ihres eigenen Arbeitgebers ein, mit aller Verantwortung, aber auch allem Risiko. Hannes Koch
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